Das habe ich mir aber alles ganz anders vorgestellt!

anders vorgestellt

Das ist jetzt also das echte, richtige Leben? Das habe ich mir aber irgendwie anders vorgestellt …

Liebe S.,

seit kurzem verbringe ich zwei Nachmittage in der Woche auf dem Fußballplatz. Da ist es im Sommer schön, im Winter schrecklich. Der Fußballverein meines Sohnes trainiert nämlich auch bei Schnee und Eisregen. Dass ich mich hier befinde und wie ich hierhergekommen bin –  ich kann es immer noch nicht fassen.

Dass kleine Jungs Fußball toll finden und es unbedingt auch können wollen, ist anscheinend für andere Mütter so normal wie … morgens aufzustehen. Für mich nicht! Als ich meinen kleinen, zarten Sohn bekam,  wusste ich eigentlich noch nicht mal genau, was Fußball überhaupt ist. Irgendein Sport, na klar, viele Menschen sind total aufgeregt und laut.

Und außerdem war ich gerndermäßig tiptop vorbereitet. Von wegen rosa/hellblauer Falle und so.

Und weil ich so gut vorbereitet war, sind wir viele verschlungene Umwege gegangen, bis wir dann doch hier gelandet sind, wo alle anderen Eltern (mit ihren Söhnen) schon lange sind. Dafür haben wir zuhause ein Regal voller großformatiger Kunstwerke –  gefertigt mit den unterschiedlichsten Textilien. Dafür hat mein Sohn die interessante Erfahrung gemacht, dass alle beim „Kreativen Kindertanz“ rosa tragen. Nur er nicht. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, er war doch tatsächlich bei sämtlichen Kursen und Terminen immer der einzige Junge:

Beim Pekip. Ich war im totalen Glück. Die Hormone sprudelten nur so und ich habe garantiert  am lautesten „OH DU MEIN HAMPELMANN“ gesungen und definitiv am wildesten von allen anderen Müttern zu „Schni Schna Schnappi“ im Kreis getanzt.

In der Musikschule. Hier mache ich dir die Diskrepanz zwischen meiner Vorstellung und seiner Realität am besten mit einem kleinen Sketch deutich:

Kind im Musikraum
Ich kann die Bagger durchs Fenster sehen. Die sind so richtig laut und so lange sind sie auch schon da. Ob ein Bagger stärker ist, als der andere? Wenn die jetzt kämpfen würden, wer würde wohl gewinnen? Oder der große Bagger dem kleinen dann helfen würde? Ich will dahin.

Mutter vor dem Musikraum
Wie hübsch das klingt. Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit hm hm hm (summt leise mit). Das Geld für die musikalische Früherziehung lohnt sich wirklich. Ohne Musik geht heute gar nichts mehr. Das fragen die bestimmt auch bei der Einschulung, ob er schon Lieder singen kann, welches Instrument er lernen will. Ich bin ja für Klavier. Hm hm hm. Oh, schon vorbei.

Kind kommt aus dem Musikraum
Ich muss rennen. Ich muss rennen. Ich muss alle wegboxen, die sich mir in den Weg stellen. Ich bin der Super-Bagger. Ich bin Spiderman. Ich bin Superman. Ich bin der Schnellste. Schnell, schnell, ich muss wieder in die andere Richtung rennen.

In der Kunstschule. Leise, entspannte Atmosphäre. F. ist knapp drei. Er steht an der Staffelei. Zwischen den beiden blondgelockten Zwillingen Philippa und Gwendolyn. Thema heute: die Zauberflöte. Umzusetzen mit Sand und Acryl. Nach zwei Minuten tönt es von ihm: „Erster!“

Beim Kreativen Kindertanz.  Hier habe ich vielleicht wirklich etwas übers Ziel hinaus geschossen. Ich fand, er solle mehr Sicherheit im Umgang mit sich selbst gewinnen. Warum musste er auf dem Spielplatz immer so rangeln und schubsen? Da stimmte doch etwas nicht. Also auf zum Kindertanz. Die Lehrerin war begeistert, als ich ihn telefonisch angemeldet habe. Eine Stunde haben wir durchgehalten, zwischen zehn – mal kichernden mal heulenden – rosa  Mädchen.

Wenn ich ihn ab und zu fragen wollte, was ihm denn nun besonders gut gefallen habe, kam meistens zurück: „Mama, das war jetzt nicht so richtig… echt!“

Ich könnte diese Liste noch weiterführen. Wir haben Stationen im Kindertheater gemacht, beim Englischunterricht (obwohl – der war toll) und sind jetzt, wie gesagt, da angekommen, wo er von Anfang an hinwollte. Auf dem Fussballplatz.

 

fUSSBALLNEU

Ich bin jetzt natürlich auch Fussball-Fan.

Ich versuche ab und zu mit den anderen Eltern ins Gespräch zu kommen. Versuche zu verstehen, wenn sie sagen: „Die anna steige uff“.  Zucke zusammen, wenn die Gespräche plötzlich von  einem gebrüllten: Robiiiiiiiiiiin! Laufäääääääääääään! Du Määääääääääädchen!“ unterbrochen werden.

Ich sitze also am Fussballfeld.  Sehe meinem Sohn bei Sonne und Schneeregen zu und denke: ist das jetzt also echt? Das ist das echte Leben? Das habe ich mir aber irgendwie anders vorgestellt…

Und außerdem, die ganze Erziehung, das „Bitte“ und „Danke“, hätte ich mir sparen können. Das hat er zum seinem Glück auch schnell gemerkt. Denn, während er in der Anfangszeit  – schüchtern und höflich wie er ist  – zum Tor eilte und ab und zu Dinge sagte wie: „Könntest Du bitte passen?“ fällt er inzwischen gar nicht mehr auf. Und ist vollkommen zufrieden damit.

 (Unnötig zu sagen, dass ich mit meiner kleinen Tochter zum Ballett und zum Reiten gehe. Dort sind wir aber einfach hingegangen. Ohne einen einzigen Umweg).

Bis bald! Deine …

 

 

 

10. April 2014

3 Kommentare

Mein Kleiner ist noch nicht im Fußballalter. Aber ich bin mal gespannt, wo bei uns die Reise hinführt. Danke für den inspirierenden Artikel.
Viele Grüße,
Alex von die-kleine-krone.de

Wir wäre dann mit dem Pekip, Kinderballet, und dem Voltigieren auch fertig und kommen dieses Jahr mit an den Spielfeldrand. Das echte Leben eben. Übrigens auch das echtere Essen, Fussballvereine können immer wahnsinnig gut grillen 😉 Ich freu ich drauf, bin nämlich ein Fussballmädchen und war mal Münchner Schul-Viezemeister….

Gute Entscheidung. Und dazu noch ein kleiner Tipp am Rande von einem erfahrenen Fußballtrainer: Den Kindern macht es noch mehr Spaß, wenn Mama oder Papa nicht die ganze Zeit am Spielfeldrand zuschauen. So haben dann beide Seiten was von der schönsten Nebensache der Welt.

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