„Ich möchte nie wieder alleinerziehend sein!“

skalAF_von_Wegen_Maike__02_Druck Copyright Sandra KunzeStadtLandKind im Interview mit Meike Büttner. Bloggerin. Autorin. Mutter. Wurde bekannt mit Ihrem Buch „Mutterseelenalleinerziehend“. Der Blog dazu (mutterseelenalleinerziehend.de)  gilt als „Mutter“ der Blogs von und für Ein-Eltern-Familien und hat vielen Betroffenen Mut gemacht, sich zu hier oder in eigenen Internetauftritten  am Thema zu beteiligen. Meike Büttner lebt seit kurzem in einer Patchwork-Familie. Im StadtLandKind-Gespräch berichtet sie über die Zeit des Alleinseins und das Bloggen als gesellschaftliches Instrument.Liebe Meike, Thema alleinerziehend. Ist das ein Familienmodell, eine Lebensform – oder nur eine Lebensphase, so wie es offiziell von und in der Politik gehandhabt wird? 

Familie ist in meinen Augen, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Also sind auch Alleinerziehende mit ihren Kindern oder wem auch immer eine Familie. Ob Lebensphase oder nicht spielt dabei gar keine Rolle. Wenn später noch ein neuer Partner oder eine neue Partnerin hinzukommen sollte, wächst einfach die bereits vorhandene Familie.

Seit einiger Zeit lebst Du als Patchworkfamilie. Hast Du dich vorher – allein mit deiner Tochter Laura – auch als Familie gefühlt?

Wir haben uns immer als Familie gefühlt. Nur leider wird das viel zu selten anerkannt. Wir bekamen keine Familienkarte im Schwimmbad, keine entsprechenden Ermäßigungen im Zoo …

Was war am schwersten in der Phase des Alleinseins?

Es fehlen die Phasen der Kontemplation, der Reflexion und der Zukunftsplanung. Ich war gefangen in einem Alltag, der aus lauter Kämpfen bestand. Ich konnte nicht abschalten, keinen Überblick gewinnen über unsere Situation und keine Pläne schmieden, wie wir dem entkommen. Ich war schlicht zu beschäftigt. Außerdem brauchen erwachsene Menschen auch mal andere erwachsene Menschen und nicht immer nur Kinder um sich herum. Bei mir hat diese Isolation und die ständige Mühle zu Depressionen geführt.

Alleinerziehende haben viele Probleme. Streit mit dem Ex-Partner, finanzielle Nöte, gesellschaftliche Diskriminierung … Was war dein größtes Problem, wenn Du auf die Zeit zurückblickst?

Alle genannten. Kein Mensch kann immer nur kämpfen. Mein größtes Problem war wohl, niemals loszukommen von diesen Problemen. Immer gab es Dinge, die wichtiger waren als ich persönlich. Ich verlor mich selbst völlig aus den Augen.

Was müsste sich in der Politik ändern, um die Situation von Alleinerziehenden nachhaltig zu verbessern?

Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Insofern sollten wir uns in allen Förderungen auf diejenigen konzentrieren, die aus eigener Kraft nicht auf grüne Zweige kommen können. Unsere Kinder können nichts für die Umstände, in die sie geboren werden. Sie müssen dieselben Chancen bekommen wie alle anderen Kinder. Finanzielle Sicherheit durch Grundsicherung, ein echter Mindestlohn, steuerliche Gleichsetzung mit anderen Eltern, anonymisierte Bewerbungsverfahren. Naja eigentlich ein Paradigmenwechsel! Der Fokus derzeitiger Politik liegt zu sehr auf dem Wettbewerb großer Unternehmen und zu wenig auf der Lebensqualität der Menschen.

Dein Blog heißt – wie dein Buch – Mutterseelenalleinerziehend. Hast Du auch den Eindruck, dass die Form des Bloggens Alleinerziehenden aus dem Abseits  heraus hilft? Denn: vielen Menschen war es vielleicht gar nicht bewusst, was diese Lebensform für Kraftanstrengung kostet.

Unbedingt. Alle Menschen brauchen Erscheinungsräume, damit die Gesellschaft ein realistisches Bild von ihnen erhält. Das gilt nicht nur für Alleinerziehende. Das gilt im Grunde für alle Minderheiten. Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende, Homosexuelle, Menschen mit Immigrationshintergrund. Durch Blogs treten sie in Erscheinung. Noch besser wäre aber natürlich, Radio, Fernsehen und Zeitungen würden sich mehr mit diesen Menschen befassen und nicht immer nur dieselben Vorzeigefiguren abbilden.

Beim Lesen deines Buches oder auch der Blogs ist man eigentlich erstaunt, dass Alleinerziehende überhaupt noch funktionieren. Woher hast Du deine Kraft genommen, um zu funktionieren?

Das weiß ich nicht. Das verstehen wir in der Regel selbst nicht. Aber die Frage ist ja auch, ob ein „funktionierendes Leben“ so erstrebenswert ist. Besser wäre wohl, es gäbe mehr Zufriedenheit in unserer aller Leben. Das könnte auch die Angst und den Hass gegenüber anderen mindern.

Warum sehen Politik und Gesellschaft hier einfach zu?

Sehen Sie denn zu?  Knapp 64% des Parlaments sind verheiratet.
39% der Abgeordneten sind kinderlos (*). Sie alle haben ein gutes Einkommen und gut zu tun. Ich fürchte, ihnen fehlt völlig der Bezug zu marginalisierten Lebensverhältnissen. Sie verstehen nicht, was sie nicht kennen. Sie haben keine Vorstellung davon, wie es ist Hartz IV zu empfangen oder in anderer Form am Rande der Gesellschaft zu leben. Ihre Gedankenwelten sind vollgestopft mit einer anderen Praxis. Für sie sind diese Menschen nur Zahlen. Müssten sie selbst mal für eine Woche so leben, würde sich sicher etwas ändern.

Hat es auch Vorteile, alleinerziehend zu sein?

Es gibt Leute, die das so sehen. Aber auf mich trifft es nicht zu. Ich möchte nie wieder alleinerziehend sein.

Interview: Bettina Wolf  // Foto: Sandra Kunze

(*http://p.zdf.de/indexc.shtml)

alleinerziehend

 Übrigens: Seit einiger Zeit ist Meike nicht mehr alleinerziehend und hat „Mutterseelenalleinerziehend“  deshalb in neue Hände übergeben: Sarah Wiedenhöft hat das Blog im Februar 2015 übernommen. Die Studentin, Stipendiatin und Journalistin ist eine alleinerziehende junge Mutter aus Hamburg und befasst sich in ihrem Studium unter anderem mit Teenie-Mutterschaften. Auf mutterseelenalleinerziehend bloggt sie zu Themen wie sozialer Gerechtigkeit und Awareness. 

Noch mehr Blogs für und von Alleinerziehenden

mama-arbeitet.de

starkundalleinerziehend.de

die-alleinerziehenden.de/matildasblog

jochenkoenig.net/blog

alleinerziehenderpapa.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Kommentare

ich finde es schade, dass in Deutschland zwar circa 20% aller Eltern alleinerziehend sind (+50% in den vergangenen 15 Jahren!) und über die Hälfte der alleinerziehenden Mütter von Kindern unter drei Jahren mit weniger als 1.100 Euro im Monat auskommen muss und das in den Medien so gut wie kein Gehör findet. Hier sollte die Politik mal endlich aufwachen!

LG,
Jenny

Das ist ja ein sehr aufmunterndes Interview.
(Ironie). Hilft mir jetzt gar nicht. Es gibt auch positive Seiten am Alleinerziehen.

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