„Kinder im Blick“

Der Kurs „Kinder im Blick“ hilft Eltern, die sich trennen, besser mit konflikthaften Situationen umzugehen, gibt ihnen das Handwerkszeug für schwierige Situationen, macht streitenden Paaren deutlich, wie massiv der tägliche Streit Kinder belasten und sogar traumatisieren kann. StadtLandKind hat mit drei getrennten Elternteilen gesprochen.

Kinder im Blick

Katja

Als Katja (*alle Namen von der Redaktion geändert) sich vor drei Jahren von ihrem Partner trennte und mit der gemeinsamen einjährigen Tochter auszog, war ihr vor allem wichtig, dass das gemeinsame Kind keinen Schaden nimmt. „Die Situation war zwar angespannt“, erzählt sie, „aber nicht so, dass Geschirr geflogen wäre oder so. Es war einfach für den Vater des Kindes sehr, sehr schwer zu begreifen, dass er seine Tochter nicht mehr jeden Tag sieht. Das ist es bis heute. Als es dann doch einmal zu einer bedrohlichen Situation vor dem Kind kam, war klar, ich hole mir Hilfe, bevor es dramatisch wird“. Deutlicher möchte sie nicht werden. „Wir waren in der Zeit eindeutig keine Freunde“, sagt Katja zögernd. „Ich wollte nicht, dass er meine Wohnung betritt, Gespräche waren schwierig.“

Bekommt ein so kleine Kind eine Trennung denn überhaupt mit? Sehr anhänglich  sei die Tochter in der Zeit nach der Trennung gewesen. Und obwohl sie noch so klein war, hat sie es verstanden, da ist sich Katja sicher. „Kinder kommunizieren das nur anders“.

Der Weg zur Hilfe führte zur Caritas und dort bekam das getrennte Paar die Empfehlung zu „Kinder im Blick“. „Damals war das Programm noch nicht so bekannt, trotzdem dauerte es ein Jahr, bis Katja einen Platz bekam“. Eigentlich sollen getrennte Paare den Kurs parallel besuchen – an unterschiedlichen Abenden. Katjas Ex-Partner wollte dann aber doch nicht „Beim ersten Treffen waren alle Teilnehmer noch sehr zurückhaltend. Jeder durfte sagen, was er will, oder auch gar nichts.“ Die Zurückhaltung – was die einzelnen Schicksale anging – blieb. „Das war auch okay so, es geht ja nicht um Paarbeziehungen, sondern um die Beziehung zu den Kindern.“ Nur ab und zu wurde deutlich, dass bei manchen der Teilnehmer dramatische Szenen vorangegangen waren.

Der Kurs „Kinder im Blick“ wurde nach amerikanischem Vorbild an der LMU München entwickelt und soll Eltern in Trennungskrisen und danach unterstützen. Jeder Kurs wird von zwei Therapeuten begleitet. In Rollenspielen stellen sie Szenen nach und machen Verhaltensvorschläge für die Zukunft. „Dabei geht es vor allem darum, den Eltern ganz konkret anhand von Beispielen aus dem Alltag eine größere Sicherheit und Ruhe zu vermitteln“, erklärt Jan Fehr, Anwalt für Familienrecht und Mediator aus Heidelberg. „Der Kurs ermöglicht zudem einen Austausch mit anderen Eltern, die in der selben Situation sind.“ Jeder Teilnehmer bekommt einen „Tandempartner“, den er in Notfallsituationen
anrufen kann, mit dem er sich treffen und akute Krisen besprechen kann. „Es war ein toller Kurs und ich würde ihn jederzeit wieder machen“, sagt Katja. „Ich habe jetzt eine andere Basis mit meinem Expartner – ich kann ihm auf Augenhöhe begegnen und mit ihm sachlich kommunizieren, was ich möchte oder auch nicht. Empfehlen würde ich die Teilnahme übrigens auch vielen nicht oder noch nicht getrennten Paaren. Man darf es aber nicht mit einer Mediation oder Therapie verwechseln. Es geht hier immer ums Kind. Was der Kurs vor allem auch klar macht: wie schrecklich es für Kinder ist, wenn Eltern – getrennt oder nicht – streiten. Bei Paaren, die komplett zerstritten sind, ist wahrscheinlich eine Mediation vorab empfehlenswert.“

Lena

„Auch mal vor den Kindern gestritten? Was für eine Frage!“ Lena schüttelt den Kopf und drückt die halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. „Wir haben uns täglich vor den Kinderna angebrüllt.Ich hatte zwischendurch Angst, handgreiflich zu werden. So wütend war ich.“

Lena sitzt vor einem Mannheimer Szene-Café. Wir haben uns hier mit Lena verabredet. Lena hat sich schon vor Wochen für das Programm  „Kinder im Blick“ angemeldet. Allerdings weiß sie noch nicht, wann es losgeht und überhaupt, eigentlich hat sie gar keine Zeit. Es ist alles so stressig gerade. Die Trennung, der Auszug. Die finanziellen Probleme. „Meine Ehe war von vornherein ein Fehler“, sagt Lena. Sie hat keine Scheu über ihre Situation zu sprechen. Später beim Nacherzählen werden wir immer vorsichtiger, der Wunsch, sie zu schützen, wird größer. Es scheint, als könne sie sich zurzeit selber nicht schützen: Die Wut, die Verletzung, alles ist noch ganz frisch und präsent. „Ich unterhalte mich mit ihm zurzeit nur noch über Anwälte. Ich will auch nicht, dass er Mia und Finn hat, obwohl ich ja eigentlich weiß, dass es ihnen nicht gut tut, ihren Vater nicht zu sehen. Aber ich kann einfach nicht  anders. Ich will, dass er sich schlecht fühlt …“.

Die Anmeldung zu „Kinder im Blick“ erfolgte nicht freiwillig, das Gericht drängte auf Mediation und auf ein Training, das den Eltern klar macht, wie sich ihr Verhalten auf die Kinder auswirkt.

Plötzlich klingelt Lenas Smartphone. Der Babysitter. Wir müssen das Gespräch abbrechen und vor Redaktionsschluss kommt es zu keinem zweiten Treffen.

Max

„Als ich meinen Kindern sagen musste, dass ich ausziehe, war das für meinen 13-jährigen Sohn wie ein Schock. Emil hat überhaupt nichts gesagt, sondern saß eine halbe Stunde unbeweglich am Tisch und sah vor sich hin.“

Max ist Mitte 40, er hat einen guten Job, zwei Kinder, eine schöne Altbauwohnung, eine nette Frau. Trotzdem. „Vor drei, vier Jahren fing ich plötzlich an zu grübeln: „War’s das jetzt? Kommt da noch etwas?‘“.

Die Trennung  kündigte sich  schleichend an und verlief ohne große Konflikte, bis heute kümmern sich Max und seine (Noch-)Ehefrau gemeinschaftlich um die Kinder. Streit wird vermieden, soweit es geht. „Ich will, dass es meiner Frau gut geht. Denn dann weißt ich, dass es meinen Kindern gut geht …“ Trotzdem bekam Max Angst, den engen Kontakt zu seinen Kindern zu verlieren. „Die Vorstellung, dass meine Kinder mich nicht mehr sehen wollen, war für mich der totale Horror. „Irgendwann kam Frida, meine zehnjährige Tochter, mit der Beilage unserer Tageszeitung zu mir. Sie hatte einen Bericht über „Kinder im Blick“ angemarkert. ‚Das wäre doch was für euch!‘, meinte sie. Ich habe mich sofort angemeldet.“ Seine Ehefrau wird den Kurs ebenfalls besuchen, aber erst im September.

Max ist seitdem ein „supergroßer Fan“ von „Kinder im Blick“. „Ich habe so viel gelernt. Und kann das Gelernte nicht nur im Umgang mit meinen Kindern anwenden, sogar im Berufsleben ist es hilfreich. Zum Beispiel, in Konfliktgesprächen Eskalationen zu vermeiden, im Gespräch ruhig und auf das Thema konzentriert bleiben. Wenn es nicht funktioniert, das  Thema vertagen.“

Ein schöner Nebeneffekt  des Kurses sind die Freundschaften, die sich aus den Treffen entwickelt haben, man trifft sich seitdem regelmäßig. „Wir waren eine echte Männerrunde“, erzählt Max weiter. „Zu meiner großen Überraschung hatten sich viel mehr Männer als Frauen angemeldet. Wir hatten total viel Spaß zusammen.“ Spaß? Das klingt befremdlich. Es geht ja immerhin um ein ernstes, trauriges Thema. „Auch ernste Themen muss man mit Humor angehen“, findet Max. Außerdem, eine Trennung habe nicht nur negative Folgen. „Ich kenne Väter, die nach der Trennung zum ersten Mal Zeit für ihre Kinder hatten. Zum ersten Mal Zeit für einen Ausflug, für den ganz normalen Alltag. Vor der Trennung war ihr kompletter Tag mit Karrieremachen  ausgefüllt.“ Eine wichtige Erkenntnis bleibt nach dem Kurs bei Max zurück: er und seine Frau sind zwar kein Paar mehr, dafür aber Vater und Mutter – und das ein Leben lang.

Lange Zeit schien es übrigens, als habe der 13-jährige Emil die Trennung viel besser verkraftet, als Frida – nachdem der erste Schock erst einmal abgeklungen war. „Doch nach einigen Wochen  sagte Emil eines Abends zu meiner Frau: ‚Jetzt muss ich stark sein. Jetzt bin ich der Mann hier‘. Dabei schlug er sich bestärkend auf die Brust. Anschließend saß er eine halbe Stunde bei seiner Mutter auf dem Schoß und hat geweint.“

Wie sich die Situation weiter entwickeln wird, weiß Max noch nicht. Alles ist möglich. „Jetzt sehe ich manchmal aus  dem Fenster meiner kleinen Kellerwohnung und denke: „Und? War‘s das jetzt?“ Kommt da noch etwas?“

Mehr zum Programm „Kinder im Blick“ und Anbietern in der Region unter: kinderimblick.de

Bettina Wolf // Illustration: Stephanie Oemisch