In nichts bin ich grandioser gescheitert, als im Vorsatz niemals meine Kinder anzubrüllen

gescheitert

Ich wollte ja nie laut werden, als Mutter. Mit nichts bin ich grandioser gescheitert, als mit diesem Vorsatz. (Naja, vielleicht noch bei den Bundesjugendspielen, aber das ist verkraftbar.) Die meisten Mütter und Väter werden jetzt nicken. Ich kenne kaum Eltern, denen es gelingt, ihr Kind nie anzubrüllen. Aber niemals war es so schlimm, wie in den vergangenen Wochen. Wenn ich nicht brüllte, dann brüllte ein Kind und wenn ein Kind das andere anbrüllte, dann brüllte ich eifrig dazwischen bis alle brüllten und mindestens einer beleidigt, schnaubend in sein Zimmer trampelte.

Nein, das waren keine pädagogischen Glanzleistungen in den vergangenen Wochen. Das war ein einziges Desaster. Eine Spirale aus Geschrei, aus Wut und Trotz, gegenseitigen Anschuldigungen und Geschwisterneid. Und irgendwann reicht ein vermeitlich schiefer Blick – DER HAT MICH ANGEGUCKT!!! Zack, herzlich Willkommen Eskalationsstufe zehn von zehn.

Morgens, wenn das eine Kind im Halbschlaf das andere vom Waschbecken wegdrängelt und das Gezeter an allen noch schrecklich müden und deshalb besonders empfindlichen Nerven zerrt, bis ich von irgendwo aus der Wohnung wenig konstruktiv dazwischenbrülle.
Minuten später das nächste Drama, weil das andere Kind mehr Honig auf dem Brot hat. Die Kombination aus Erleichterung und schlechtem Gewissen wenn das Gezanke darüber, wer wen am Schuhregal zuerst geschubst hat, endlich im Treppenhaus verhallt. Natürlich nicht ohne dass ich noch mal „Ruhe!“ dazwischen gebrüllt habe. (Finde den Fehler.)
Schlecht gelaunte Kinder, die mittags zur Tür reinmuffeln, über das Essen mosern, sich gegenseitig unter dem Tisch treten, (UND DU DARFST DEINEN ARM DA NICHT HINLEGEN, DAS IST MEINE SEITE!!!)  bis ich irgendwann dazwischen brülle.
Nachmittags lautstarker Streit darüber, wer welchen Song zuerst auf Spotify hören darf, inklusive Handgreiflichkeiten, bis ich irgendwann dazwischen brülle. Türenschlagen, wuttränenverschmierte Kindergesichter, die trotzig unter Kopfkissen verborgen werden. Permanentes Gezanke um jeden Handgriff im Haushalt (ich hab aber neulich schon den Müll runter getragen, stimmt gar nicht, doch wohl) …  bis ich irgendwann dazwischen brülle.
Mein persönlicher Höhepunkt in Sachen pädagogischem Totalversagen:  Lautstark „dann mache ich es halt selber“ motzen und beleidigt die Treppe herunterrauschen, als wäre ich drei Jahre alt.

Platz zwei der unendlichen Liste der mütterlichen Unzulänglichkeiten: „Wenn ihr jetzt nicht aufhört, gehe ich nicht mit euch ins Schwimmbad“.  Grandios gemacht. Sitzen halt alle bei 32 Grad den ganzen Nachmittag in der verdunkelten Wohnung und machen sich gegenseitig für den verhunzten Tag verantwortlich. Dass auch der Abend keine Harmonie mehr bringt, versteht sich von selbst. Und trauriger Gipfel des Tages sind dann Kinder, die eigentlich schlafen sollten, aber um 22:30 Uhr immer noch wegen irgendetwas nach mir krähen. Wasser, verkrumpelte Bettdecke, ein eingerissener Fingernagel, ein Mückenstich, zu heiß, zu kalt, zu langweilig, kannnichteinschlafen. In Wahrheit fehlt ihnen etwas ganz anderes: Das Gefühl, dass das ein schöner Tag war und wir uns gegenseitig lieb haben.

Selten konnte ich mich selber so wenig ausstehen.

Vor vier Tagen hab ich Reset gedrückt. Ich brülle nicht mehr, ich erhebe meine Stimme nicht mehr. Egal, was passiert. Den Kindern habe ich nichts gesagt. An Tag eins war ich die einzige, die ruhig blieb, der Rest brüllte weiter. An Tag zwei dauerte es schon bis zum späten Nachmittag, bis die erste lautstarke Auseinandersetzung begann und selbst die war rasch vorbei. Danach halfen die Kinder freiwillig beim Aufräumen der Küche. An Tag drei spielten sie endlich wieder einmal gemeinsam. Ganz ohne Gebrüll. Es herrscht himmlische Ruhe.
Und das Schönste ist: Ich sage „Gute Nacht“, sie lächeln und schlafen ein.

Und daraus schöpfe ich die Kraft, um  hoffentlich auch morgen wieder ganz ruhig zu bleiben.    shy

12. Juli 2017