Meine beste Freundin, ihr Baby und ich

FreundinDas Erste, was ich sehe, als Tina um die Ecke zu meiner Wohnungstür kommt: einen quietschgelben Eimer voller Sandschaufeln und Förmchen. Auf dem anderen Arm trägt sie Paulina die 65 Stufen nach oben. Mit leicht roten Wangen schaut sie mich an und nickt, während sie die Wohnung betritt und zunächst den Eimer, dann Paulina auf dem Boden absetzt. Für Sprechen ist nicht genug Luft da. Ich weiß, das soll ‚Hallo’ bedeuten, und schließe die Tür hinter mir.

16 Monate ist Paulina jetzt schon alt. Waren ihre anfänglichen Versuche, zu stehen und zu laufen eher wackelig, so steht sie heute mit beiden Beinchen fest auf dem Boden und erkundet einen Meter nach dem anderen. Sie weiß genau, was sie will – und das ist im Moment erst einmal Verstecken spielen zwischen der Bettwäsche, die zum Trocknen auf dem Wäscheständer hängt. Das eignet sich aber auch hervorragend, wenn man ein laufender Meter ist.

Ein Glas Wasser später tauschen wir die neuesten Neuigkeiten aus. Wer heiratet, wie war es an diesem Abend und was sagst Du eigentlich dazu? Seit Tina Mama ist, sehen wir uns zwar nicht mehr so oft wie früher, weil ihre Tochter sie einfach voll und ganz braucht, dafür sind unsere Treffen aber umso intensiver. Die Zeit wird ausgekostet – und natürlich auch über die alten Zeiten geredet.

Ich: „Ich weiß schon gar nicht mehr, wie es war, als Du noch keine Mama warst.“

Tina stützt sich mit beiden Ellenbogen auf dem Küchentisch. „Ich weiß es auch nicht mehr. Aber ich glaube, ich war ein bisschen ausgeruhter“, sagt sie mit müden Augen und einem Lächeln auf den Lippen. Dann füttert sie Paulina weiter, die genüsslich ihren Mittagssnack verputzt. Ups!, ein Himbeerfleck auf dem Teppich. Macht nichts, der muss eh in die Reinigung. Ich beuge mich nach vorne und schaue Paulina tief in die Augen.

Ich: „Gehen wir später auf den Spielplatz?“

Paulina: „Ja.“

Ich: „Und gehen wir dann auch rutschen?“

Paulina: „Ja.“

Ich: „Und mit dem Sandeimer spielen?“

Paulina: „Ja“.

Sie steht auf, läuft ein paar Schritte, dreht sich um und hat ihr Spiegelbild entdeckt. Was macht die denn hier?, scheint sie zu denken. Ein grimmiger Blick, einmal Zunge rausstrecken und schnell zurück zu Mama.

Während Tina weiter im Redefluss ist, bin ich ganz fasziniert darüber, dass diese kleine Person und ich wirklich schon ein Gespräch führen und schaue Tina ganz verdutzt an. „Wir haben miteinander gesprochen“, sage ich aufgeregt. Tina stoppt mitten im Satz. „Naja, sie sagt entweder ‚Ja’, ,Nein’, ,Mama’ oder ‚Papa’, weil sie noch nicht viel mehr sagen kann. Sie versteht aber jedes Wort“, sagt Tina und wischt Paulina die letzten Himbeerreste aus dem Gesicht. „Übrigens: Du weißt schon, dass Du das dann auch alles mit ihr machen musst, was du ihr eben versprochen hast. Sie merkt sich das alles nämlich ganz genau.“ Das weiß ich. „Spielplatztage können sehr anstrengend sein“, sagt sie und packt alle sieben Sachen zusammen. Das wollen wir mal sehen, denke ich mir. Ich bin bereit.

Paulina räumt inzwischen ihren Sandeimer samt Förmchen auf meiner Couch aus – ein bisschen Sand rieselt auch darauf. „Ja“, sagt sie laut zu ihrer Schaufel. Mist! Ob sie mit der Schaufel jetzt auch ein Gespräch anfängt? Meine Theorie von unserem Gespräch scheint nicht haltbar zu sein. Nach Himbeerfleck und mittelschwerem Sandsturm in meinen vier Wänden frage ich mich, ob meine Wohnung wirklich kindertauglich ist, komme aber zu keinem Ergebnis. Dann habe ich einen Flashback: Ende des Jahres 2013 saßen Tina und ich auf eben dieser Couch und machten uns Eiscreme essend Gedanken darüber, wie es wohl sein wird, wenn sie eine Mama sein wird. Damals spürte ich zum ersten Mal einen kleinen, aber intensiven Tritt eben dieser jungen Dame, die es sich jetzt auf dem Sofa gemütlich macht.

Tina: „Kommst Du?“

Sie holt mich aus meinem Tagtraum und drückt mir den Sandeimer in die Hand.

Keine zwanzig Minuten später finde ich mich in einem Sandbecken wieder, umringt von Förmchen und anderen spielenden Kindern, die mich etwas verdutzt anschauen. Ich bin die Neue. Aber hey: Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Ich spiele also, was das Zeug hält. Während ich ganz fasziniert von Paulinas Sandeimerset bin und zum ersten Mal seit über 20 Jahren wieder Sandkuchen backe – „Paulina, ich hab schon drei Stück gebacken“, sage ich stolz – interessiert das: niemanden. Die einzige Person, die sich umdreht, ist eine Mutter, die sich gerade mit ihrem Sohn auf die Rutsche setzt und mir eher etwas mitleidig zunickt. Auf der Suche nach ein bisschen Anerkennung schaue ich zu Tina, die hingegen wortlos in eine bestimmte Richtung zeigt. Mist. Paulina hat die Wippe entdeckt, also schnell hinterher. „Du musst schnell sein“, ruft mir Tina zu und schaut, wie ich mich auf dem Spielplatz so anstelle.

Nach der Wippe geht es auf das nächste Spielgerät. Ziemlich kleine Löcher, um da rein zu kommen, da passe ich nicht durch. Ich lasse es lieber und lasse Paulina den Vortritt. Wie wäre es denn mal mit Spielgeräten für Erwachsene, frage ich mich. Dann geht es zur größten Herausforderung des Tages: die Rutsche. Sie ist nichts für Anfänger oder Angsthasen. Man muss schon spielplatzerprobt sein, um sich auf dieser Höllenmaschine mutig rund 1,20 Meter in die Tiefe zu stürzen – aber das ist kein Problem für die Kinder an diesem Nachmittag. Nicht eines zeigt Angst – warum auch, wenn Mama am Ende der Rutsche steht und einem nach einer wilden Fahrt in Empfang nimmt. Auch Paulina traut sich. Sie hat beide Hände fest an der Halterung. Dann traut sie sich loszulassen. Den Kopf nach oben, fest mit dem Po abdrücken und los geht’s. Zur Belohnung gibt es einen Kuss von Mama.

Während ich an diesem Nachmittag zwischen Rutsche, Wippe und Sandbecken pendle, eröffnet sich mir eine ganz neue Welt und so wage ich es, drei Kategorien von spielenden Kindern auf dem Spielplatz zu erstellen – frei nach dem Motto „Zeig’ mir Deine Schaufel und ich sag Dir, wer Du bist“. In ihrem Wesen scheinen sie sich gar nicht so sehr von den großen Originalen zu unterscheiden.

Kategorie 1: Die Chefs. Sie haben das Sagen und gehen nicht von den Spielgeräten runter, geschweige denn, dass sie es dulden, dass andere Kinder sich auch nur in die Nähe ihrer Spielsachen bewegen. „Das ist meins, kapiert!“, drückt ihr Blick aus. Die dazugehörigen Eltern tippen vergnügt auf ihrem Smartphone und sagen beiläufig: „Das ist aber nicht nett. Lass die anderen Kinder doch auch mal spielen.“

Kategorie 2: Die Entspannten. Sie rücken, machen Platz und gehen auf andere Kinder zu. Schaufel und Eimerchen werden geteilt, der eigene Schnuller zum Trösten dem weinenden Freund hingehalten. Langsam, aber sicher werden Freundschaften im Sandkasten geschlossen. Später werden sie wegen ihrer verständnisvollen Art vielleicht einmal einen Anti-Aggressionskurs leiten.

Kategorie 3: Die Beobachter. Voll bepackt mit Spielausrüstung, Superman-Kostüm und Gummistiefeln stehen sie am Rande des Sandkastens und beobachten das bunte Geschehen – trauen sich aber nicht, die Arena zu betreten. Sie schauen lieber zu. Ok, wenn es Spaß macht, ist auch das vollkommen in Ordnung.

Wieder zu Hause angekommen ziehe ich meine Schuhe aus, ein kleines Sandhäufchen kann ich aus ihnen schütten. Aber das ist mir jetzt egal, passt gut zum Himbeerfleck. Völlig platt lege ich mich auf die Couch, von der die letzten Sandkörner rieseln. Ich gebe zu: Ein Tag auf dem Spielplatz erreicht in meiner persönlichen Anstrengungsskala einen fast ebenso hohen Rang wie ein Bummel durch einen IKEA-Markt samstags vor Weihnachten. Und dabei war das heute erst die Sparversion, wie mir Tina erklärt hat.

Mein Handy piepst. Tina schickt mir ein Bild von Paulina, die ihr Lieblingsbuch fest umklammert – von Müdigkeit keine Spur, jetzt ist Lesen angesagt. Ich bin mir sicher, wenn Tina mir jetzt etwas vorlesen würde, würde ich sofort einschlafen. „Na, bist du fit?“, fragt sie mich in einer SMS und ich kann den ironischen Unterton heraushören. Diese Nachricht lese ich aber erst nach einer Stunde, nachdem ich wieder aufgewacht bin.

Von Ann-Kathrin Weber 

Zur Autorin:

Redakteurin Ann-Kathrin Weber hat zwar selbst noch keine Kinder, schreibt aber besonders gern über Kinderthemen. Für StadtLandKind hat sie ihre Freundin Tina durch die Schwangerschaft begleitet und besucht ab sofort Baby Paulina und ihre Eltern einmal im Monat für uns.

 

15. September 2015
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