Raus aus der Blase

Wer sich viel in der Welt der Familien- und Mütterblogs bewegt, wer auf Instagram unterwegs ist und Pinterest liebt, kann leicht den Eindruck bekommen: alles ist gut. Weil alles schön ist. Hier wird sich auf hohem Niveau über Kindererziehung ausgetauscht, das Für und Wider der Baby-Led Weaning-Bewegung diskutiert. Mütter werden virtuell getröstet, die kurz die Nerven verloren haben und statt Brokkoli Nutella erlaubt haben, Papas zugejubelt, die in länger als zwei Monate in Elternzeit sind und gemeinsam wird über das deutsche Bildungssystem und die Schulprobleme der Kinder gestöhnt.

Ab und zu werden wir aus der pastellig getönten Blase der schönen Bilder und Dekotipps aufgerüttelt. Wenn beispielsweise ein Mädchen über die Medien gesucht wird, das vier Jahre alt ist und offensichtlich seit Jahren missbraucht wird. Oder die neue Kriminalstatistik herauskommt, die besagt, dass Gewalt gegen Kinder zunimmt. Dann schlucken wir kurz. Aber hat das etwas mit uns zu tun? Wir schlagen unsere Kinder ja nicht. Und wir kennen auch niemanden, der das tut.

Oder?

Wir könnten jetzt eine Diskussion darüber starten, wo Gewalt anfängt. Ist jede Form der Erziehung Gewalt? Beispiel: Ich möchte, dass sich das Kind anzieht. Das Kind möchte dies aber nicht. Und jetzt? Was ich aber damit sagen will: neben diesen sanften Formen der „Gewalt“, deren Grundkonflikt vielleicht durch Überreden, durch Kompromisse gelöst werden kann, ist die Hemmschwelle der meisten Eltern, was tatsächliche Gewalt angeht, erschreckend niedrig. Und ab und zu bricht diese Erkenntnis in unsere schöne Welt ein. Zum Beispiel wenn wir einen Kinderwagen verkaufen wollen. Einen ursprünglich sehr teuren Kinderwagen, dessen Räder leider von unseren Kaninchen angefressen wurden. Wir mussten ihn also sehr preiswert anbieten und es kamen viele Interessenten. Auch eine Familie mit einem süßen kleinen Mädchen. Während die Eltern nun also die Räder inspizierten und den Preis weiter drückten, langweilte sich das Mädchen und kletterte auf unser Sofa, um aus dem Fenster zu schauen.  Uns fiel das noch nicht mal auf, wer kleine Kinder hat, besitzt normalerweise kein empfindliches Sofa und wenn doch, selber schuld.

Das sahen die Eltern des süßen Mädchens ganz anders. So schnell konnten wir gar nicht reagieren, wie sie das Mädchen an den Haaren vom Sofa rissen und ohrfeigten. „Das machst Du nicht noch mal“, schrie die Mutter so laut, dass selbst uns die Ohren klingelten.

Der Kinderwagen wurde an diesem Tag selbstverständlich nicht verkauft. Die Familie ging schnell, ohne sich um unser Gestammel („Das macht wirklich nichts mit dem Sofa“ … „also eigentlich dulden wir hier keine Gewalt gegen Kinder …“ ) zu kümmern. Wir blieben mit einem dumpfen, hilflosen Gefühl im Bauch zurück.

Was wir damit sagen wollen: Gewalt gegen Kinder ist allgegenwärtig. In der realen Welt ebenso wie in der virtuellen. Wir dürfen uns davon nicht länger überraschen lassen, sondern genau hinsehen und handeln.

bw // Foto:

P.S. In der kommenden Ausgabe unseres Magazins geht es ebenfalls unter anderem um das Thema Gewalt gegen Kinder. #Ausgabe17,#slk

 

17. Oktober 2017