StadtLandKind. | Ausgabe 1/2022

Familienleben 9 Alle reden darüber, was die Zeit der Pandemie mit den Kindern und Jugendlichen macht. Aber was macht sie eigentlich mit unseren Lehrerinnen und Lehrern? Wir haben nachgefragt. Anne* unterrichtet an einem Gymnasium in Baden-Württemberg. „Dass ich mir hier anonym Luft mache, liegt an meinem Job. Ich bin verbeamtete Lehrerin und das Land Baden-Württemberg ist mein Arbeitgeber. Ich habe meine Arbeit als Lehrerin am Gymnasium immer geliebt. Meine Fächer sind Mathematik und Physik, zwei für viele Schüler sehr anspruchsvolle Fächer, die aber unglaubliches Spaß-Potential in sich tragen. Jeder Schülerin und jedem Schüler gerecht zu werden, war schon vor der Pandemie fast unmöglich. Zu unterschiedlich waren die Voraussetzungen, die die einzelnen Kinder und Jugendlichen mitbringen. Und plötzlich sahen wir uns mit einem massiven Innovationsdruck und plötzlichem Digitalisierungsschub (bei gleichzeitig mangelhafter Technik) konfrontiert, die bis heute nicht annähernd abgeschlossen sind. Dazu kommt der Personalmangel, die Schule ist chronisch unterbesetzt. Viele meiner Kollegen gehören zur Hochrisikogruppe, sind krank oder haben sich freistellen lassen. An manchen Tagen habe ich mehr Vertretungsstunden in mir fremden Fächern als in meinen eigenen. Die Eltern meiner Schüler (bzw. immer öfter kenne ich nur ein Elternteil) sind beruflich so eingespannt, dass es schwierig ist, zu einer echten Beziehungsarbeit zu gelangen. Nur noch selten erfahre ich Wertschätzung. In den Elterngesprächen schwingt immer wieder der Vorwurf mit, das Lernniveau sei zu niedrig. Außerdem: Wir Lehrkräfte seien überbezahlt, inkompetent, faul und hätten ständig Ferien bzw. frei. Und das habe ich endgültig satt! Am liebsten würde ich allen sagen: Wenn es so einfach ist und so bequem, warum macht ihr den Job dann nicht selbst? Die Pandemie hat die Zustände an den Schulen natürlich nicht nur offengelegt, sondern auch verschärft. Schüler, die unter normalen Bedingungen noch irgendwie mitliefen, sind jetzt komplett unter dem Radar. Wenn ich vor der Klasse stehe und etwas erkläre, dann blicke ich in leere Gesichter. Selten fragt jemand etwas. Ich weiß, dass nur ein Bruchteil der Klasse mitkommt. Aber was soll ich machen? Ich muss den Bildungsplan erfüllen. Also hetze ich die Klasse von Thema zu Thema, lasse sie Arbeiten schreiben, von denen ich weiß, dass sie schlecht bis katastrophal ausfallen werden. Warum ich keine Arbeit auslasse? Oder uns mehr Zeit gebe? Das erlaubt der Lehrplan nicht. Außerdem: Niemand kann mir sicher sagen, ob die Schule in der nächsten Woche noch geöffnet sein wird – also beeile ich mich umso mehr. Mir ist bewusst, dass die Gymnasien zurzeit nur die wirklich guten und extrem motivierten Schüler mitnehmen. Der Lehrplan und das gesamte deutsche Schulsystem müssten dringend überarbeitet und angepasst werden.“ Protokoll: bw // Foto: AdobeStock *Name ist der Redaktion bekannt ! Bildungsplan mangelhaft Die Zeit der Pandemie hinterlässt bei Kindern und Jugendlichen Spuren. Wichtige Entwicklungen im kindlichen Gehirn fanden nur eingeschränkt statt – das könnte die seelische Gesundheit einer ganzen Generation gefährden. Neurobiologin Nicole Strüber erklärt, was Eltern, Kitas, Schulen und die Gesellschaft jetzt tun müssen, damit unsere Kinder die Pandemie gut verarbeiten. Beltz Verlag 2021, 16.- Euro Corona Kids

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