Familie in Zeiten von Corona: „Ich kann nicht mehr“

Anja*, 37, Alleinerziehende, selbständig, 3 Kinder, Ludwigshafen am Rhein

„Ich kann gar nicht sagen, wie wütend ich über die Situation bin, in die ich durch „Corona“ geraten bin. Es war vorher auch schon  nicht leicht, weder organisatorisch – als Alleinerziehende mit drei Kindern zwischen 3 und 13 – noch finanziell als selbständige Physiotherapeutin. Aber zumindest waren die Kinder tagsüber in Schule, Kita und Hort gut betreut. Jetzt sind sie einfach immer zuhause. Es ist nie still in der Wohnung. Ich kann oft keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich hätte die zwei Kinder zwar in einer Notbetreuung anmelden können, aber sie wollten nicht und wofür auch? Meine Patienten haben ja sämtliche Termine abgesagt, die Praxis ist seit Wochen geschlossen. Die Kleine ist tatsächlich in der Kita – mit zwei anderen Kindern. Entsprechend ungern geht sie seitdem hin. Das war vorher nie ein Problem. Wenn ich jetzt höre, dass der Schulbetrieb wahrscheinlich erst im Herbst aufgenommen wird und dann vielleicht auch nur ab und zu, mal vormittags mal nachmittags … ich könnte ausflippen. Wie sollen wir als Eltern da planen können? Außerdem bin ich keine Lehrerin und werde schnell ungeduldig. Der Unterricht zuhause strengt mich und die Kinder sehr an. Wir haben auch nur einen einzigen Laptop, der wird ständig von den Kindern umlagert. Der Große macht sich seit kurzem große Sorgen um seinen Schulabschluss, obwohl der ja noch Jahre in der Zukunft liegt.
Trotzdem kommt es ihm so vor, als wäre seine Zukunft bedroht. Als würde sich eine Tür nach der anderen für ihn schließen. Das kann ich ihm auch nicht ausreden.

Ich hätte mir von der Politik hier mehr Augenmaß gewünscht. Waren diese Maßnahmen wirklich verhältnismäßig? Oder hat man die Folgen für Familien einfach nur in Kauf genommen? Wie in jeder gesellschaftlichen Krise ist auch mit der Coronapandemie einmal mehr deutlich geworden: Kinder und Familien haben in Deutschland keine Lobby. Wären sie Autos oder Fußballer – sähe die Sache ganz anders aus. Wir Eltern sind zu müde und auch zu eingespannt, um nach unserem 24/7-Job auf die Straßen zu gehen und für Kinderrechte zu demonstrieren. Denn darum geht es doch: Kinder haben das Recht auf Schule. Auf Bildung und auf ihre Freunde. Und all das wird ihnen zurzeit genommen. Ohne dass sich jemand groß darüber aufregen würde. Nur alleinerziehende Mütter wie ich.“

Protokolle: bw

*Name auf Wunsch verändert.

5. Mai 2020