Wie ich meine pädagogische Würde auf der A3 bei Regensburg verloren habe

 pädagogische Würde

 Letzte Ausfahrt „Mr. Jump“ oder wie eine Vollsperrung meine letzten pädagogischen Grundsätze ruiniert hat.

Wann sind wir endlich da?
Ich muss Pipi.
Wie viele Ausfahrten noch?
Können wir Bibi und Tina hören?
Warum können wir nicht Bibi und Tina hören?
Der E. hat mich getreten.
Gar nicht, ich hab nur meinen Fuß dahin  gemacht.
Aber das ist MEINE Seite.
Wie viele Ausfahrten JETZT noch?
Ich hab voll Hunger.
Wie lange noch?
Können wir jetzt Bibi und Tina hören?
Können wir Eis?
Das Buch wollte ICH jetzt angucken!
Nein, das ist MEIN TipToy!
Der E. hat mich getreten.
Mir ist langweilig.
Können wir JETZT Bibi und Tina hören?

Wie ich sie verachte, diese Eltern in den großen Familienschüsseln mit den Bildschirmen in den Kopfstützen der Vordersitzen. Diese Eltern, die ihre Kinder auf Autofahrten einfach zwei Ipads in die Hand drücken, obwohl die Kleinen erst mit Ach und Krach dem Maxi Cosi entwachsen sind.

Nicht mit mir! Ich finde es unmöglich, Kinder mit elektronischen Geräten ruhig zu stellen. Man kann sich auch mit seinen Kindern beschäftigen.

Wir können was singen. Oder was spielen. Ich packe meinen Koffer zum Beispiel. Das schult auch das Gedächtnis. Und überhaupt, guck doch mal die schöne Landschaft. Und gleich fahren wir über eine ganz, ganz  hohe Brücke. Guck doch mal!

Außerdem habt ihr so viel Platz da hinten auf der Rückbank, ihr müsst gar nicht streiten…wenn ich da an früher denke…

Spätestens hier erzählt der Gatte und Kindsvater die Geschichte, wie er mit seinen drei Geschwistern auf der Rückbank eines Käfers in den Urlaub fuhr, während die Eltern vorne munter Kette rauchten. Bei geschlossenem Fenster versteht sich.

Die Kinder gähnen. Über die Geschichte und die allgemeine Langeweile.

Okay, dann noch eine Runde Ich-sehe-was-was-Du-nicht-siehst. Oder Nummernschilder raten… oh guck mal, da fährt ein Jaguar!

Das geht alles, solange das Auto rollt. Solange sich dieser kleine blaue Punkt auf dem Navi tapfer weiter bewegt, solange ich noch Apfelschnitze und Nüsse habe oder ein leckeres Vollkornbrot und ein paar Dinkel-Schoko-Kekse, weil wir niemals dieses minderwertige Essen an den Autobahnraststätten kaufen würden. Ist ja auch viel zu teuer. Und wenn alle Stricke reißen, liegen noch ein paar Süßigkeiten im Handschuhfach oder ein Buch zum Vorlesen. Macht ja nix, dass mir speiübel wird vom Vorlesen. Das Opfer bringe ich gerne. Wirklich.

Neun Jahre habe ich es geschafft, meinen Kindern KEIN elektronisches Gerät in die Hand zu drücken, damit sie still sind und nicht weiter rumnerven. Warum? Weil es mein persönlicher Anspruch war.

Nun habe ich meine pädagogische Würde schon hundertfach verloren. Ich habe Türen geschlagen, Kinder angebrüllt, Spielzeuge geworfen, Schuhe vom Balkon geschmissen und mit dem Fuß aufgestampft, als wäre ich zweieinhalb. Bis jetzt habe ich sie immer irgendwo wieder gefunden. Die Würde.

Diesmal nicht. Sie  liegt seit Dienstag irgendwo am Rande der A3 in der Höhe von Regensburg auf einem schmutzigbrauen Grasstreifen, begraben unter Kippen, Fastfood-Müll, Straßenstaub und Lkw-Fahrer-Pipi. Möglicherweise von jenem Lkw-Fahrer, der an diesem verhängnisvollen Dienstag beschlossen hat, seinem Was-weiß-ich-wie-viel-Tonner quer über die zweispurige Autobahn zu werfen, statt einfach geradeaus zu fahren.

In den zweieinhalb Stunden auf dieser Autobahn, in der der Gatte mindestens dreimal verzweifelt rauchend das Auto umrundet hat, bin ich schwach geworden. Endgültig. Und so zockten sie begeistert „Mr. Jump“ auf unseren Handys bis wir daheim ankamen  – nur kurz unterbrochen von dem Besuch einer Fast-Food-Kette in der Höhe von Nürnberg.

Und am Ende, nach neunstündiger Reise waren sich die Kinder einig:

„Das war die coolste Autofahrt EVER!“

„Das war aber eine absolute Ausnahme“, mahne ich  – wenig glaubhaft – und mit dem letzten verzweifelten Versuch, das Ruder noch mal rumzureißen.

Das grinsen sie beide zuckersüß und reichen mir mein Telefon. Leider kann ich damit nichts mehr anfangen.

Die kleinen Monster haben meinen Code geändert.

28. Mai 2015

2 Kommentare

[…] zu geben. Auf ‘StadtLandKind’ kann man nachlesen, wie das schief gehen und man seine „pädagogische Würde auf der A3 bei Regensburg“ verlieren […]

[…] ‘StadtLandKind’ kann man nachlesen, wie das schief gehen und man seine „pädagogische Würde auf der A3 bei Regensburg“ verlieren […]

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