Der letzte Gäulschesmacher

Gäulschesmacher
Ein Pferd? Na klar, kein Problem. Aber kinderlieb soll es sein und nicht so viel Arbeit machen. Wie wäre es mit: handgefertigt und aus dem Odenwald? Ein Apfelschimmel wäre doch schön. Mit rotem Sattel und blauer Satteldecke. Gefertigt von Harald Boos, dem letzten Gäulschesmacher im Odenwald.

Bei Harald Boos und seiner Frau Annette Krämer dreht sich alles um Pferde. Und um Hunde. Und um Gänse und Hühner … doch dazu später mehr. Annette Krämer ist die letzte „Schaukelpferdbauerin“ im Odenwald. Hier werden sie „Schoggelgäulsche“ genannt. Gegründet wurde die kleine Holzspielwarenfabrik 1899 von Annette Krämers Urgroßvater Adam Krämer. Die Pferde werden noch heute nach den alten Baumustern gebaut und sehen noch immer genauso aus wie vor 100 Jahren. Die Form und Farbe der Schaukel- und Steckenpferde ist typisch für den Odenwald und erinnert zugleich an nostalgische Karussellpferde.

Jedes Pferd nimmt seinen Anfang in der großen Lagerhalle. Hier lagern die mächtigen Baumstämme. Das Holz stammt ausnahmslos aus dem Naturpark Bergstraße-Odenwald. Jedes Pferd wird aus drei Holzsorten gefertigt. Der Körper aus Pappel, denn Pappel lässt sich gut schleifen und ist auch schön leicht. Der Pferdekopf und das Rollbrett sind aus Kiefer, die Beine und Schaukelkufen aus Buche.

Ist das Holz gefällt und in der Halle angekommen, wird es von Harald Boos auf einer Original-Gattermaschine von 1938 zersägt. Die Blöcke trocknen anschließend zwei bis drei Jahre in der Halle und anschließend nochmals 14 Tage im Heizungskeller. Erst dann ist das Holz trocken genug, um verarbeitet zu werden. Dann erst wird es von Harald Boos zu einem runden Pferdekörper gedrechselt. Das Holz für die Kufen wird übrigens nicht ausgesägt, sondern gebogen: Erst kommen die Holzstücke für eine Stunde in den Dampfkessel, bis sie so richtig schön erwärmt und weich sind. Anschließend werden sie auf eine Biegemaschine (ebenfalls ein Original- Modell aus dem letzten Jahrhundert) geschnallt. Das Feinschleifen übernimmt übrigens eine hölzerne Schleiftrommel. „Ein uraltes Prinzip“, erzählt Boos. „Die Teile schleifen sich von ganz alleine rund. Ich muss ab und zu die Bestandteile der Trommel austauschen, denn die wird natürlich auch mit abgeschliffen.“

Sind alle Teile fertig gesägt, geformt und geschliffen geht es ein Stockwerk höher in die kleine Farbwerkstatt. Hier wird gewachst, geölt, lackiert und eben auch bemalt. Für die größeren Teile übernimmt das der Tauchapparat. Auf einem Brett fixiert werden sämtliche Pferdebeinchen in Farbe getaucht und dann mit einem Flaschenzug langsam wieder in die Höhe gezogen. Natürlich wird nur gesundheitlich unbedenkliche Farbe verwendet. Die Gesichter der Pferde werden mit einer Schablone gemalt, die Apfelschimmel-Tupfen mi der Hand. Zum Schluss bringt Harald Boos noch die Holzräder an die Bodenbretter an, der Schweif aus Hanf wird angeklebt und dann geht es ab in den kleinen Laden. Hinter der großen Fensterfront warten übrigens nicht nur die „Schoggelgäulsche“ auf kleine und große Besitzer, sondern auch Steckenpferde und Boller- oder Leiterwagen, natürlich auch handgefertigt.

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Annette Krämer und Harald Boos machen alles selber, ein Geselle oder eine Aushilfe wäre nicht zu finanzieren. Beinahe wäre auch der Betrieb von Familie Krämer und damit der Beruf des „Gäulschesmachers“ im Odenwald ausgestorben. Annette Krämers Vater bekam „nur“ eine Tochter. Zuvor war die Handwerkskunst und die kleine Fabrik von Vater zu Sohn übergeben worden. Deshalb musste auch erst der richtige Schwiegersohn kommen, damit Annette Krämer den Betrieb offiziell übernehmen konnte. Harald Boos war zum Glück vom ersten Augenblick von den „Schoggelgäulsche“ begeistert und begann beim Schwiegervater die Kunst des Holzspielzeugmachers zu erlernen. Um 1900, als Adam Krämer seinen Spielzeugbetrieb gründete, gab es 23 Gäulschesmacher im Odenwald. Entstanden war der Beruf aus einer wirtschaftlichen Not, es gab wenig Arbeit im Odenwald, die Löhne waren gering. Aber Bäume gab es genug. Auf einem alten Schwarz-Weiß-Foto von 1926, das im Laden neben der Kasse hängt, kann man heute sehen, wie groß der Betrieb damals war. Neben dem Meister, den Gesellen und Gehilfen musste die ganze Familie mitarbeiten, natürlich auch die Kinder. So groß war der Bedarf an Schaukelpferden. „Es gab damals ja noch kein anderes Spielzeug“, erzählt Harald Boos. Die Mädchen hatten eine Puppe und die Jungen bekamen ein Schaukelpferd.“ Wie früher schon gibt es die traditionellen Holzpferde auch heute noch in fünf Größen. Namen haben sie keine, sie heißen nüchtern: eins, zwei, drei, vier und fünf.

Heute kämpfen die „Gäulschesmacher“ einen fast aussichtlosen Kampf gegen eine ganze Spielzeugindustrie, aber vor allem gegen Plastik. In ihrem kleinen Laden gibt’s nicht nur die eigenen Pferde, sondern auch ausgewählte Spielwaren aus Deutschland und dem europäischen Ausland. Alles natürlich nur aus Holz. „Qualitätsspielzeug aus Deutschland gibt es fast gar nicht mehr, oder es ist unbezahlbar“, erklärt Boos. Eine Firma, deren Bauklötze Boos in seinem Laden anbietet, fertigt inzwischen auch in China. Aber Boos hat sich ganz genau nach den Arbeitsbedingungen erkundigt. „Sie zahlen nach Tarif und versichern ihre Arbeiter.“ Alles andere wäre für ihn nicht in Frage gekommen. Und haben die beiden ein Lieblingsholz? Da muss Harald Boos zum ersten Mal länger überlegen. Nein, eigentlich nicht. Oder doch: liebevoll nimmt er eines der kleineren Pferde in die Hand. Der Rumpf ist aus Kirschenholz gefertigt und nur gewachst. Seine Maserung strahlt und es fühlt sich an wie Seide. Und ab und zu gönnt sich Boos einen Schwung Erlenpferde. Die werden dann ebenfalls nicht bemalt oder lackiert. „Zum Glück mögen die Menschen heute wieder Dinge aus Holz. Lange Zeit konnte es gar nicht bunt genug sein. Hoffentlich bleibt das auch noch eine Weile so.“

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Trotz harter Arbeit sind Annette Krämer und Harald Boos rundum glücklich mit ihrer Holzspielzeugfabrik in Reichelsheim, zwischen den sanften Hügeln des Odenwaldes. Es ist schön hier. Die kombinierte Werkstatt aus Ladengeschäft und ländlichem Gehöfft liegt idyllisch zwischen Bach und Straße. Im Garten strahlen die Apfelbäume in der Sonne, die Hühner eilen durch den Matsch und zanken sich um einen Regenwurm, eine Henne brütet selbstvergessen im Stall, in der Werkstatt macht es sich Hündin Gina auf einem großen Berg Holzspänen bequem und die Katzen verstecken sich unter dem englischen Zigeunerwagen. Der ist aber nicht in Betrieb. Die Pferde mögen ihn nicht. Diesmal die echten, lebendigen Pferde, die hier ebenfalls wohnen. Denn, was die Pferde nicht gut finden, kommt auch für Harald Boos und seine Frau nicht in Frage. Sie waren die ersten, die ihre Pferde im Odenwald nach dem Prinzip des „Horsemanship“ aufgezogen haben. Das heißt: mit dem Pferd kommunizieren, kein Gebiss zum Reiten verwenden und auf das hören, was das Pferd seinem Reiter mitteilt. Samstags fahren die beiden immer mit der Kutsche. Die ist extra niedrig, damit der Hund gut ein- und aussteigen kann. Und sonntags wird ausgeritten. Sonntags haben die beiden zwar frei, aber so ganz ohne Pferde können sich die beiden keinen Tag in der Woche vorstellen. bw // Fotos: sho

Odenwälder Gäulschesmacher, Holzspielwaren, 64385 Reichelsheim, Tel. 06164 1511 und im Internet unter: gaeulschesmacher.de

13. November 2013
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