Hefte kaufen, Läuse und Kinderdiebe – die drei Katastrophen nach den Sommerferien

Hefte

Rot, blau, gelb, orange…alle Hefte beisammen?


Na? Liebe B,

alle Schulhefte beisammen? Ich fast. Aber ich hab auch Übung  und bin deshalb heute Nacht nur zweimal aus dem Schlaf geschreckt:
OH MEIN GOTT DER ORGANGEFARBENE SCHNELLHEFTER FÜR ENGLISCH!!!!!
Ich konnte auch fast gleich nachdem ich mich davon übezeugt hatte, dass der Hefter auf der Liste am Kühlschrank schon abgehakt ist, wieder einschlafen. Also fast gleich nachdem ich noch einen klitzekleinen Blick in den Farbkasten im Schulranzen geworfen habe, nur um mich kurz davon zu überzeugen, dass das Deckweiß wirklich drin steckt.

Ich bin also inzwischen wirklich total souverän und ich hinterfrage auch nicht mehr, warum ein Grundschulkind, das nur eine große Hand voll Schulfächer hat, vier doppelte Hände voll Hefte und Heftern braucht. Ich akzeptiere Ringbuchordner und Hefteinlagen, ich dulde die absonderlichsten Heftumschlagwünsche, ich habe auch kein Problem mit Faser-, Wachsmal-, Filz-, Bunt-, Folien-, Blei-, Tintenroller- und allerlei anderern Stiften. Ich mag Stiftevielfalt.

Aber ich werde niemals vergessen, wie ich einst verweifelt mit einem einzuschulenden Kind an der einen und einem Kindergartenkind an der anderen Hand in der  Bürobedarfsabteilung eines großen Kaufhauses stand und schier in Tränen ausgebrochen bin, weil ich das Lineatur-1-DIN-A5-erste-Klasse-rot nicht finden konnte. Und das war erst Punkt eins auf der Liste.

Heute läuft das anders. Ich betrete den Schreibwarenladen meines Vertrauens, ich ziehe meine Liste aus der Hosentasche und schaue dem Schreibwarenladenverkäufer tief in die Augen. Wir müssen nicht  reden. Wir sind Profis. Ich lese vor, er schnappt sich parallel dazu sämtliche Untensilien aus den Regalen.  Ich bewundere ihn zutiefst, nehme noch zwei Center-Shock, stopfe sie den Kindern in den Mund, damit sie aufhören nach Pferdezeitungen und Micky-Maus-Heften zu betteln, zahle, verneige mich und gehe.

Ich bin mir sicher, sollte im kommenden Jahr eine Lehrerin ein  grau-himmelblau-weiß-gestreiftes-Heft-mit-Gänseblümchen-Rand haben wollen, dann wird dieser fantastische Mann es haben. Und ja, ich weiß, dass es im Kaufhaus viiiiiiiel billiger ist. Das ist mit egal.

Dieses Oh-Gott-die-Schule-fängt-wieder-an-Problem habe ich also gelöst. Auch mit den Läusen nach den Sommerferien werde ich klarkommen. Den Umgang mit dem Läusekamm beherrsche ich im Schlaf.

Jetzt gibt es nur noch eine Sache, die ich in den Griff kriegen müsste: Es graust mir vor den vielen Kinderdieben, die bald wieder in weißen VW-Bussen vor den Schultoren unserer Kleinstädte lauern, dutzende Kinder in die Wagen zerren und ins feindliche Ausland verschleppen, um ihnen dort Organe zu entnehmen. Doch, doch, das tun die. Immer Anfang des Schuljahres. Überall. Vor allem auf Facebook. Und wenn sie es da getan haben, dann tun sie es auch auf den Elternabenden, dann wird auf Spielplätzen von ihnen berichtet und in Kindergärten, im Sportverein, beim Bäcker und im Supermarkt. Bis Anfang Dezember treiben sie ihr Unwesen. Dann haben sie offensichtlich genügend Kinder zusammengeklaut und verschwinden wieder.

Ich gehe jede Wette ein, dass das Da-hat-einer-ein-Kind-aus-dem-Auto-angesprochen-und-ich-kenn-jemanden-der-die-Mutter-kennt-die-ist-total-vertrauenswürdig-und-das-Kind-total-vernünftig noch vor den Herbstferien wieder die Runde in diversen Mailverteilern von Klassenlisten macht.

Und dann tun sie mir jetzt schon leid, die zahllosen Kinder, die wochenlang keine 20  Meter mehr alleine zur Schule laufen dürfen, sondern nur noch in Schulbus-zu-Fuß-Schlangen mit doppelter Elternbegleitung vorne und hinten, damit auch ja keiner vom Ende weggeklaut wird. Geht ja bekanntlich rasend schnell, dass so ein Kind verschwindet oder zwei.

Wirklich gute Mütter fahren ihre Kinder ohnehin gleich im Geländewagen direkt vors Schultor.  Gut, für die wenigen, die doch zu Fuß kommen, weil ihren Eltern vermutlich egal ist, ob ein Kinderdieb ihnen Organe entnimmt,  ist das dann blöd. Die geraten so furchbar schnell unter den Geländewagen.
Aber, bisschen Schwund ist immer.

Ich weiß nicht, warum Eltern heute so eine unfassbare Angst um ihren Nachwuchs haben. Ich weiß nicht, warum sie über Soziale Netzwerke jedes Jahr wieder diesen Schwachsinn verbreiten und sich  – und ihre Kinder gleich mit  – mit den absurdesten Geschichten in Panik versetzen. Ich weiß nicht, warum Eltern ihren Kindern  Überwachungs-Apps auf ihre Handys installieren, um nur ja jeden Schritt ihres Nachwuchses kontrollieren zu können.
Ich kenne Eltern, die  haben kein Problem damit, wenn ihre Grundschulkinder stundenlang auf dem Computer sinnfreie Computerspiele spielen oder unkontrolliert die absurdesten Youtube-Videos gucken und sich nebenbei mit Chips vollstopfen.  Das sind dieselben Eltern, die es nicht erlauben, dass ihr Kind ohne Elternbegleitung im Wald spielt und es unverantwortlich finden, dass mein Kind alleine im Dunkeln nach Hause gehen darf.
Ich weiß nicht, was hier wirklich unverantwortlich ist.

Und die Argumente für die  Ängste sind immer die selben: „Aber es passiert doch so viel!“

BLÖDSINN!

Nichts passiert. Gar nichts. In der Gegend, in der ich wohne, ist in den vergangenen 50 Jahren kein Kind abhanden gekommen. Aber das nutzt nichts, das immer wieder zu erklären.
Argumente und Kriminalstatistik helfen nicht gegen kopflose Panik, aber vielleicht hilft diese Ansprache:

Liebe Eltern, wenn ihr eure Kinder nicht ein wenig mehr zur Selbständigkeit erzieht,  ihnen wenigstens etwas gesunden Menschenverstand zutraut und wenn ihr nicht aufhört, sie mit Schauergeschichten in Panik zu versetzen,  dann werdet Ihr vermutlich auch noch sämtliche Schulhefte fürs Abitur kaufen müssen, weil sich eure Kinder mit 18 Jahren nicht alleine bis zum Zeitschriftenladen trauen.

In diesem Sinne, wir sehen uns beim Elternabend,

S.

 

17. September 2014