Scheiden tut weh

Eine Trennung mit Kindern wirft Lebensentwürfe über den Haufen, bringt oft finanzielle Sorgen und immer die Frage mit sich, wie die Kleinsten der Familie die schwierige Phase gut überstehen. Pia* durchlebt diesen Prozess aktuell und hat uns Einblicke in ihre Situation gegeben.

Wir trennen uns. Drei Worte, die eine Welt bedeuten. Oder besser gesagt: Das Betreten einer neuen Welt. Im Jahr 2021 wurden fast 40 Prozent der Ehen in Deutschland geschieden. Die Zahl ist bekannt, aber so richtig damit rechnen will niemand. Auch nicht Pia. „Natürlich habe ich gemerkt, dass wir zu wenig für uns als Paar machen“, berichtet sie. „Bei drei Kindern zwischen fünf und zehn gibt es einfach immer etwas zu organisieren, und die Erwachsenen fallen hinten runter.“ Trotzdem habe sie weiter funktioniert und sich darauf verlassen, dass eine über zwei Jahrzehnte andauernde Beziehung auch eine solche Durststrecke aushalten kann. Fehlanzeige.

„Im April hatte ich einen Hörsturz, und als mein Mann mich vom Arzt abholte, war da keinerlei Sorge zu spüren“, erinnert sie sich. Also habe sie nachgefragt, ihn bedrängt und schließlich eine Antwort bekommen: Er werde sich trennen. Und er liebe eine andere Frau. „Das war wie ein Schlag ins Gesicht“, bekennt die 41-Jährige. Im ersten Moment ist sie hilflos, im zweiten bekommt sie Angst. Wie viele andere Frauen arbeitet sie seit der Geburt des ersten  Kindes in Teilzeit und übernimmt einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit. Wie soll das in Zukunft funktionieren? Und: Wie werden die Kinder die Situation verkraften? Der Anfang ist schwer, aber noch zieht das Paar an einem Strang. Sie lassen sich von einer Caritas-Mitarbeiterin beraten und bereiten gemeinsam das Gespräch vor, in dem sie ihre Kinder über die Trennung informieren. „Das war vermutlich der schwerste Moment überhaupt“, berichtet Pia. „Unsere Kinder waren völlig ahnungslos. Es war eine große Hilfe, dass wir im Vorfeld Sätze formuliert hatten, an denen wir uns entlanghangeln konnten.“ Das Ziel: den Kindern vermitteln, dass sie keinerlei Schuld trifft.

„Das Familienleben, das die Kinder kennen, existiert nicht mehr“

Rückblickend sagt Pia: „Die ersten  Wochen waren schmerzhaft, aber irgendwie okay. Mein Mann hat versprochen, dass seine Freundin erst nach ungefähr sechs Monaten eine Rolle spielen wird und dass er finanziell für mich und die Kinder da sein wird.“ Doch es kommt anders. Bereits nach drei Monaten konfrontiert Pias Mann die gemeinsamen Kinder mit der neuen Frau in seinem Leben – und ihren drei Kindern. Eine Mediation scheitert, die Unterhaltsberechnung zieht sich hin, es gibt Streit wegen nicht eingehaltener Absprachen, Beschimpfungen auf beiden Seiten und vor allem wird deutlich, dass beide Elternteile weit davon entfernt sind, sachlich miteinander umgehen zu können. Zu tief sind die Verletzungen, zu emotional die beiden  Charaktere. Was Pia in dieser Zeit geholfen hat? Ein Netzwerk aus Freunden und Leidensgenossinnen. Besonders der Kontakt zu einer Studienfreundin, die mit „unfassbarer Energie“ fast  ununterbrochen an ihrer Seite war, habe sie „über Wasser“ gehalten. Und: „Es war Wahnsinn, wie viele Frauen mir erzählt haben, dass es ihnen genauso ergangen ist“, sagt Pia. „Alle haben irgendwie die Kurve bekommen. Das hat mir Mut gemacht.“ Auch einige Coachingstunden nimmt Pia in Anspruch, aktuell besucht sie außerdem den Kurs „Kinder im Blick“. Diesen absolvieren beide Partner in unterschiedlichen Gruppen, Pias Mann startet später im Jahr.

Die Kinder sind Pias größte Sorge. „Vordergründig stecken sie alles ganz gut weg“, erzählt Pia. Trotzdem sei sie sich sicher, dass die heftigen Wutausbrüche der mittleren Tochter und häufige Bauchschmerzen bei der Großen ein klares Zeichen für eine Überforderung mit der Situation sind. Im letzten Urlaub mit einer befreundeten Familie gab es abends Einschlafprobleme, weil im direkten Vergleich überdeutlich wurde, was gerade fehlt: Papa. „Das Familienleben, das sie kennen, existiert nicht mehr. Und genau wie ich müssen sich die Kinder erst in dieser neuen Konstellation zurechtfinden“, glaubt die Dreifach-Mama. Es zeigt sich, dass Pias Mann gedanklich schon viel weiter ist.

Plötzlich sind sogar Haustiere möglich – in der neuen Familie

„Er hat sich auf diesen Schritt länger vorbereitet und erwartet, dass alle seine Entscheidung akzeptieren und mittragen“, berichtet Pia. „Bis heute ist das sehr viel verlangt und für mich  manchmal schlicht unmöglich. Ich führe ein Leben, das ich eigentlich gar nicht führen wollte.“ Zusätzlich belastet Pia die Konkurrenzsituation. Während sie im Alltag nach wie vor den Großteil der Sorgearbeit übernimmt, Wäsche macht und Geburtstage organisiert, nutzt der Vater der Kinder seine Wochenenden für Ausflüge und hat neue Haustiere angeschafft. „Was früher unmöglich war, geht nun mit der neuen Familie“, berichtet Pia. „Das tut auch nach mehreren Monaten immer noch sehr weh.“

Wie geht es weiter? Eine Wende tritt ein, als sich Pia und ihr Mann dazu entscheiden, zwei Anwältinnen zu beauftragen. Pia: „Natürlich ist das deutlich teurer. Aber auf diese Weise kann ich mir sicher sein, dass jemand meine Interessen in den Vordergrund stellt.“ Außerdem habe es den Weg zu sachlichen Gesprächen geebnet, berichtet sie. Aktuell laufen die Unterhaltsberechnungen. Sie mache sich nichts vor, sagt Pia. „Wir bleiben noch über zehn Jahre über die Kinder miteinander verbunden. Und vermutlich wird es in dieser Zeit immer wieder auch Streit und schwierige Phasen geben.“ Ihr Ziel sei es, die Kinder und sich selbst seelisch unversehrt durch die Trennung zu bringen. Und sie rät dazu, in einer ähnlichen Situation Hilfe anzunehmen. Auf die Frage, ob sie rückblickend etwas anders machen würde, antwortet Pia: „Vermutlich schon. Einen Ehevertrag hätte ich wahrscheinlich dennoch nicht geschlossen. Aber ich hätte viel früher Gespräche mit meinem Mann eingefordert und professionelle Hilfe gesucht. Vielleicht hätten wir uns trotzdem getrennt. Aber für mich und unsere Kinder wäre es sicher deutlich weniger schmerzhaft gewesen.“

bas // Fotos: Adobe Stock

* Name von der Redaktion geändert

Und die Vätersicht? In der kommenden Ausgabe von StadtLandKind kommt ein Vater zu Wort.