Und wie Du wieder aussiehst. Oder: Von Lillifee aufs Kreuz gelegt!

Lillifee

 Liebe S.

Dein Blog zum Thema „ Matschhosen“  hat mich stark an die Zeit erinnert, als mein Sohn noch richtig klein war. Er ist ja jetzt auch noch klein, aber inzwischen haben wir das Problem mit Strümpfen, die keine Nähte (auch „Knubbel“ genannt) haben dürfen, einigermaßen im Griff.

Aber als er so vier Jahre alt war, war ich ständig beim Arzt.

Ich war mit den Nerven völlig fertig.

Der Tag war ein einziger Kampf (so kam es mir vor), angefangen beim Aufstehen, beim Anziehen, beim Frühstücken usw. Und erst das Einschlafen.  Nichts hat geklappt. (Dachte ich). Als die Kinderärztin uns nicht helfen konnte (wobei?) ging ich zum Homöopathen. Er gab hörte sich geduldig alles an und verschrieb mir Globuli.

Als ich mich bei meiner Mutter über alles beklagen wollte, meinte sie nur lakonisch: „Worüber beschwerst Du dich? Als Du drei Jahre alt warst, bist Du drei komplette Monate lang nur mit einer als Zauberhut umfunktionierte Schultüte auf dem Kopf aus dem Haus gegangen!“.

Das stimmt, fiel mir ein. Es gibt sogar Bilder aus der Zeit. Ehrlich gesagt, mir war die Schultüte beim Betrachten der Bilder gar nicht aufgefallen. Es sah alles so völlig normal aus. (Wo kann denn nur mein Zauberhut hin sein? Er hatte schöne, bunte Bänder aus Krepppapier an der Spitze!).

Warum war ich als Neu-Mutter nur so versessen darauf, dass alles perfekt ist?  Zum Beispiel, dass mein Sohn in der Jahreszeit angemessenen Kleidung aus dem Haus ging (die natürlich vor allem mir gefallen sollte).Als wir eines winterlichen Tages mit seiner neu geborenen Schwester U-Untersuchung sollten, musste ich eine halbe Stunde mit ihm kämpfen, bis er bereit war, seine Winterjacke anzuziehen und den Reisverschluss zu schließen. Nassgeschwitzt und  in Tränen aufgelöst kamen wir (beide) bei der Ärztin an.

Diese Machtkämpfe vermeide ich heute komplett. Was er anzieht, ist seine Sache. Wenn er friert, dann zieht er sich am nächsten Tag wärmer an. Ich versuche ein möglichst gleichmütiges Gesicht aufzusetzen, wenn ich sehe, wie er die neu gekauften Strümpfe, die ich ganz wunderbar weich finde, auch heute noch auf mögliche „Knubbel“ untersucht.

Meine Tochter kleidet sich nur in Glitzerglimmerrosa … ich sehe darüber hinweg.

Selbst ihre  Matschhose muss pink sein!

Das wäre bei mir noch vor einigen Jahren nicht in Frage gekommen.

Eine Unterhaltung wäre dann ungefähr so abgelaufen:

Eine Matschhose muss doch nur wasserdicht sein und überhaupt ist es doch egal welche Farbe sie hat“

„Das kannst Du mir nicht antun, die ist doch für Jungen!“

Können Mädchen nichts Blaues anziehen? Blau ist doch so schön. Wie der Himmel, wie das Meer, wie …

„Ich hasse, hasse, hasse diese Hose! Lieber sterbe ich!“  

Höhepunkt und Abschluss der Szene: Mit Türen knallen. Lautes Heulen.

Diese Nebenschaukampfplätze verlasse ich inzwischen ohne jeden Kampf. Und muss mich deshalb auch nicht als Verliererin fühlen.

Bin ich jetzt entspannt – oder schon faul?  Oder kann ich nur gut verdrängen?

Trotzdem muss ich Sachen Perfektion dringend entspannen. Die Rosafizierung scheint mich voll erwischt zu haben, ich gehe der photoshopgeformten Werbeindustrie-Realität täglich auf den Leim. Wie konnte das passieren? Mit „Emma“ aufgewachsen – von Lillifee aufs Kreuz gelegt?

Und nur mühsam fällt mir meine eigene Anpassung an ästhetische Vorgaben als das auf, was sie ist: ein Rückschritt in ein Rollenverhalten, dass schon längst kein Thema sehr schien. Stichwort: Spielzeugapartheid! Das neuerdings streng getrennte Spielzeug  für Mädchen und Jungen ist hier nur ein Beispiel.

Doch nicht nur die Rollen, die Kinderkleidung, das Spielzeug sind ästhetisch viel klarer verteilt.

Neulich habe ich mit den Kindern einen alten „Fünf Freunde“-Film gesehen.  Vielleicht aus den 70er Jahren. Was mir sofort auffiel: Die Kinder damals waren viel „dicker“.

Warst Du in letzter Zeit mal in aktuellen Kinderfilmen? Die Mädchen und Jungen die da mitspielen könnten alle Models sein. Als ich mit meiner Tochter im Kino war, in einen aktuellen Mädchen-Pferde-Zauberfilm, saß jede Locke auf der Leinwand einfach perfekt, die Röhrenjeans  in Size 000 passten wunderbar, der Teint war wie Milch und Honig. Die Mädchen waren vielleicht nicht gerade untergewichtig, je nachdem wie großzügig man hier ist, aber definitiv sehr, sehr schlank. Auch das gefiel mir übrigens automatisch erst mal gut, besser gesagt: es fiel mir erst mal überhaupt nicht auf!  Und wie ein Reflex wertete ich beim Ansehen der „Fünf Freunde“ innerlich: Ganz schön pummelig.

Anscheinend habe ich etwas zu viel Rosafizierung abbekommen und sollte dringend mal wieder drei Monate mit meinem alten Zauberhut auf dem Kopf durch die Gegend laufen!

In diesem Sinne, bis bald!

Liebe Grüße,

Deine…

17. Februar 2015