Unsere dicken Kinder

dicken Kinder

Badeschluss im Freibad. Jetzt schnell nach Hause zum Abendessen. Ach, oder halt Pommes und Bratwurst auf die Hand. Ist doch viel bequemer.

Freibadzeit: kreischen, toben, tauchen, rennen, rutschen, springen.  Dazwischen: Pommes, Bratwurst, Softdrinks, Eis. Macht ja nichts. Sie bewegen sich doch, die Kinder. Stimmt. Die Wahrheit ist aber auch: Eine ganze Menge Kinder sind zu dick. Bäuche hängen über Jungs-Badehosen und unter Mädchen-Bikinioberteilen. Wir können uns das jetzt schön reden. Mit dem Einzelfall, dem Wachstumsschub, der kurz bevor steht und das Bauchfett des Zehnjährigen schon wieder schmelzen lassen wird. Wir können uns was von Veranlagung erzählen, weil der Onkel Dieter auch eher kräftig war. Wir können uns damit trösten, dass das Kind doch zweimal die Woche zum Sport geht. Wir können aber auch ehrlich sein und zugeben: Wir haben ein Problem. Wir haben zu viele dicke Kinder und die meisten Kinder sind zu dick, weil sie sich zu wenig bewegen, zu viel essen und vor allem zu viel Fett und Zucker in sich reinstopfen.

Und unsere Kinder werden das ausbaden müssen. Nicht nur im Freibad, sondern wenn es unglücklich läuft, den Rest ihres Lebens.
Ich habe leicht reden, meine Kinder sind gertenschlank. Ist das mein Verdienst? Nein. Das ist pures Glück, denn die  Ernährung meiner Kinder ist bisweilen eine Katastrophe. Das geht morgens los mit der vollen Müsli-Zuckerdröhnung oder süßem Toast samt Kakao. Was anderes wollen sie nicht und ich hab keine Lust auf lange Gesichter und endlose Diskussionen um halb sieben. Das Pausenbrot ist so mittelgesund und kommt dann auch nur halbgegessen zurück. Gurken und Äpfel sind unangetastet, dafür finden sich Schokoriegelpapiere im Ranzen. Die Klassenkameraden haben ausgeholfen.
Mittags hab ich ja nur so wenig Zeit, rede ich mir ein, und mach halt schnell Maultaschen, Nudeln (ohne Soße mit Käse), Pfannkuchen und Co. Alles Dinge, die ich – bevor ich Kinder hatte – vollständig vom Speiseplan gestrichten hatte.
Warum sind die plötzlich wieder da? Und warum so oft?
Ich bin einfach schlecht organisiert und ich hab auch oft keine Lust, mich damit auseinanderzusetzen, ob nun dieses Kind jenes Gemüse nicht mag und das andere keine Kartoffeln und beide keinen Salat und eins kein Fleisch und nur bestimmten Fisch. Dann mach ich mir halt Salat, während sich die Kinder mit Fertig-Tortillioni vollstopfen. Hauptsache sie sind gut gelaunt und der Familienfrieden ist gerettet. Die Zutatenliste auf der Nudelpackung les ich lieber nicht. Ich weiß es ja auch so. Zu viel Fett, zu viel Zucker. Von allem viel zu viel, vor allem auch vom schlechten Gewissen.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat jetzt ein Strategiepapier vorgelegt, wonach industriell gefertigte Lebensmittel künftig weniger Salz, Zucker und Fett enthalten sollen.

Das klingt total gut. Weil: Dann können wir Eltern uns ja bald ganz entspannt zurücklehnen und abwarten, dass von selber alles besser wird. „Bis Mitte 2018 sollten sich die Hersteller freiwillig auf Zielwerte einigen und ihre Rezepte anschließend schrittweise anpassen“, das berichte die Rheinische Post.
Das Wort „freiwillig“ lässt aufhorchen. Wie soll das denn gehen? Warum sollten die Hersteller das tun? Warum sollten sie die Rezeptur eines Produkts verändern, das gerne gekauft wird?
Natürlich ist es ein Ansatz, wenn Fertigprodukte insgesamt „gesünder“ werden. Aber es ist keine Lösung gegen die ungesunde Ernährung unserer Kinder. Für gesunde Ernährung können nur wir Eltern sorgen und das können wir nur, indem wir den ganzen Fertigmist nicht mehr kaufen, regelmäßig mit natürlichen Zutaten kochen, am besten mit unseren Kindern gemeinsam. Wissen wir alles. Und manchmal packt mich dann auch anfallartig mein schlechtes Ernährungs-Gewissen.

Dann experimentiere ich ein paar Tage lang begeistert mit Quinoa und Hirse, Gemüse und Tofu. Und die Kinder sind ganz reizend und emphatisch, verständigen sich wissend mit Blicken, picken ein bisschen im Essen herum, loben mich. „Doch, doch, schmeckt voll gut, nur gerade keinen Hunger“. Der kommt dann seltsamerweise eine Stunde später. Da werden dann die Süßigkeiten, die immer irgendwo im Kinderzimmer lagern, hervorgekruschtelt. Oder das Taschengeld wird heimlich mit der Freundin zusammengelegt und in eine gemeinsame Tüte Chips oder Eis investiert. Das überbrückt die Zeit bis zum Abendessen locker. Kann ich das verbieten? Wie denn?
Und kann man es den Kinder verdenken, wo ich ihnen aus reiner Bequemlichkeit doch anerzogen habe, dass das Essen aus der Packung oder dem TK-Fach super schmeckt?
Wir wissen doch alle, wie es geht. Wenig Süßigkeiten und Chips, aber nichts von alledem verbieten, sondern die Kinder in Maßen konsumieren lassen.
Wenns mal nicht schmeckt, dann müssen wir eben die Diskussionen am Essenstisch aushalten und das Gemäkel. Und wir müssen nachmittags standhaft sein und kein Eis kaufen und auch keine Brezel weil das Kind so bettelt, nachdem es das Mittagessen verschmäht hat. Und dann werden wir uns vielleicht verwundert die Augen reiben, dass es Abends kräftig zugreift, obwohl Rohkost und Vollkornbrot sonst nicht sein Ding sind. Weil es Hunger hat. Richtigen Hunger. Nicht nur Appetit.
Wir Eltern allein sind verantwortlich für das, was unsere Kinder essen. Nicht die Hersteller von Lebensmitteln. Und nur weil meine Kinder zufällig nicht dick sind, sind sie keinen Deut besser ernährt, als andere, bei denen Zucker und Fett direkt auf die Hüften schlagen.
Aber ich hab leider gestern trotzdem wieder nicht vorgekocht gestern Abend und kein Gemüse im Haus und das wird heute Mittag alles wieder schrecklich knapp … aber ich glaube, es sind noch Maultaschen da.     shy

29. Juni 2017
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