Wenn Moral auf Wirklichkeit trifft und man als Mutter ausnahmsweise gar nicht weiterhelfen kann

Moral

Man darf nicht stehlen. Auch nicht ein paar Süßigkeiten. Das weiß auch das Kind. Soweit die Moral. Aber wenn Moral auf Wirklichkeit trifft, dann verschwimmt schwarz und weiß schon mal. Und wird zum Graubereich. 

Eigentlich ist immer alles ganz einfach, bis es dann schwierig wird. Man darf nicht stehlen. Das weiß das Kind. Es ist elf. Die Schule liegt in der Stadt und in den Mittagspausen gehen die Kinder gemeinsam irgendwo essen. Mal hier, mal dort. In letzter Zeit eher dort und immer als Rudel. Ein ganzes Rudel elf bis zwölfjähriger prä- und subpubertierender Jungs. Und ein paar davon stehlen unterwegs. Kleinigkeiten. Aber sie stehlen. Das hat das Kind nun mitbekommen und sucht Rat.

Ein Gesprächsprotokoll:

Kind: Ich muss euch was sagen. Aber ihr müsst versprechen, dass ihr das niemandem sagt.
Mutter: Okay.
Kind: Ein paar von den Jungs haben heute in der Mittagspause in einem Laden Süßigkeiten geklaut.
Mutter: Hast Du das gesehen?
Kind: Ja  und sie machen das öfter, sagen sie.
Mutter: Warum? Haben sie kein Geld?
Kind: Nein. Sie finden das lustig.
Mutter: Hast Du mitgemacht?
Kind: NEIN!
Mutter: Hast Du was dagegen gesagt?
Kind: Nein.
Mutter: Und nun?
Kind: Ich weiß nicht.
Mutter: Wenn sie erwischt werden und Du bist dabei, dann hängst Du mit drin.
Kind: Kommt dann die Polizei?
Mutter: Ja und die ruft dann alle Eltern an. Ich möchte Dich eigentlich ungern irgendwo bei der Polizei abholen.
Kind: Auch wenn ich gar nichts klaue?
Mutter: Ja.
Kind: Warum?
Vater: Weil ihr dort als Gruppe seid.
Kind: Aber das ist ungerecht.
Vater: Das mag sein.
Kind: Und was mache ich jetzt?
Mutter: Du könntest mit den Kindern reden und ihnen sagen, dass sie es lassen sollen.
Kind: Aber die werden nicht auf mich hören, die finden sich cool.
Mutter: Dann geh halt nicht mehr mit ihnen gemeinsam dort hin.
Kind: Aber es gehen ALLE dort hin und nur ein paar klauen.
Vater: Dann halt Dich dort von ihnen fern.
Kind: Das geht nicht. Wir sind ja als Gruppe dort und essen dort gemeinsam.
Mutter: Und wenn Du Dich einem Lehrer anvertraust?
Kind: Aber ich kann die Jungs doch auf keinen Fall verpetzen. Dann bin ich bei denen durch.
Mutter: Das stimmt. Und wenn ich mit einem Lehrer spreche?
Kind: Das ist noch schlimmer. Außerdem hast Du versprochen, es niemandem zu sagen.
Mutter: Das stimmt. Aber es ist Diebstahl.
Kind: Ich weiß, aber es sind ja nur ein paar Süßigkeiten.
Mutter: Und wo ist die Grenze? Was wäre, wenn sie etwas Größeres klauen würden?
Kind: Das würden sie nicht machen, glaube ich.
Mutter: Und wenn doch?
Kind: Sie tun es ja nicht.
Mutter: Und was wirst Du nun tun?
Kind: Ich weiß es nicht.

Kind: Was würdest Du denn jetzt an meiner Stelle tun?

Das ist eine verdammt gute Frage…
shy

26. April 2017