Der Ultraschall bestätigt: Nachwuchs ist unterwegs. Für viele werdende Eltern spielt fortan die Frage des künftigen Wohnens eine große Rolle. StadtLandKind fragte Nathalie Dziobek-Bepler, was einen guten Raum für Kinder ausmacht. Die Architektin und ehemalige Viva-Moderatorin hat selbst drei Kinder, lebt in Berlin und hat sich auf die Planung von Räumen für Kinder spezialisiert.
StadtLandKind: Frau Dziobek-Bepler, Sie haben sich spezialisiert auf die Planung von Räumen mit dem Fokus auf Kinder. Was muss ein Raum grundsätzlich haben, damit Kinder sich wohl fühlen?
Nathalie Dziobek-Bepler: Begegnen wir Kindern auf Augenhöhe und verstehen ihre Bedürfnisse, können wir ein Umfeld für sie schaffen, das anregend, schützend und flexibel zugleich ist. Besonders wichtig sind klare, aber offene Raumstrukturen, natürliche Materialien und vielseitig nutzbare Zonen. Kinder reagieren stark auf Atmosphäre – deshalb legen wir großen Wert auf eine Umgebung, die Geborgenheit und zugleich Freiheit vermittelt. Flexibilität, Zonierung, Sichtbeziehungen und Rückzugsorte sind essenziell. Genauso unterschiedlich wie Kinder sind, so verschieden sind auch die Zonen.
Gelten diese Prämissen für alle Räume, egal ob nun in der Kita, der Schule, beim Zahnarzt oder zuhause?
Ja, eine kindgerechte Maßstäblichkeit und Orientierung, sinnliche Materialien und eine Umgebung, die zur Selbstständigkeit, zum Entdecken und zum Spielen anregt, sind essenziell in allen Bereichen. Kinder gehören genauso wie Erwachsene zur Gesellschaft und zur gebauten Umwelt – weit über Kitas und Schulen hinaus. Kindgerechte Architektur entsteht, wenn es uns Erwachsenen gelingt, die Perspektive von Kindern einzunehmen. Kinder fühlen, denken und empfinden anders als Erwachsene. Sie reagieren auf ihre Umgebung intuitiv, direkt und unvoreingenommen. Ihre Umgebung erschließen sich Kinder, indem sie sich in ihr bewegen, sie fühlen und erforschen.
Gehen wir beim Zuhause mal in die Details und nehmen eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 80 Quadratmetern. Dort wohnt ein Paar mit einem Dreijährigen, das zweite Kind kündigt sie an. Wie sollten Eltern vorgehen, wenn sie im Bestand beiden Kind Raum geben möchten?
In solchen Fällen ist Kreativität und Partizipation gefragt. Ein Kinderzimmer muss nicht groß sein – aber es muss gut zoniert sein. Wenn sich zwei Kinder ein Zimmer teilen, können Vorhänge, kleine Podeste, Höhlen oder Regale als Raumtrenner sowohl Rückzug als auch Begegnung ermöglichen. Multifunktionale Lösungen schaffen Flexibilität, auch auf engem Raum. Besonders schön ist es, wenn Kinder in die Planung einbezogen werden – ihre Wünsche zählen und sie entwickeln oft selbst großartige Ideen.
Wie ist der Raum, das Kinderzimmer, optimal zu nutzen, um gleichwohl Bereiche zum Spielen wie auch Rückzugsorte zu schaffen?
Durch Zonierung – Kinder brauchen Flächen zum Toben, aber auch ruhige Nischen, in die sie sich zurückziehen können. Wir arbeiten gern mit Podesten, Vorhängen oder flexibel nutzbaren Möbeln. Ein einfaches Regal kann Raumgrenzen markieren, ein Hochbett schafft unten Platz für eine Kuschelecke. Auch Licht kann Zonen definieren – hell für die Bastel- und Spielbereiche, gedimmt für Ruheorte. Räume sollten nicht starr sein – sondern mitwachsen, sich verändern, sich dem Tagesrhythmus und dem Alter anpassen.
Jetzt haben wir über verschiedene Zonen gesprochen. Wie aber ist es ums Aufräumen bestellt?
Durch eine klare, ruhige Zonierung und bewusst eingeplanten Stauraum lernen Kinder ganz nebenbei, wie Ordnung, Struktur und Selbstständigkeit im Alltag entstehen. Nach dem Prinzip der Montessori-Pädagogik – „Hilf mir, es selbst zu tun“ – unterstützen solche Räume die Kinder darin, ihre Umgebung eigenständig zu verstehen, zu pflegen und sich in ihr sicher zu orientieren.
Wie lässt sich eine Wohnung im Bestand flexibel an die wachsenden Bedürfnisse von Kindern anpassen?
Wichtig ist, Räume als Prozess zu verstehen – nicht als fertige Lösung. Kinder entwickeln sich schnell. Was heute Rückzugsraum ist, kann morgen Ritterburg oder Lesehöhle sein. Wir empfehlen modulare Möbel, stapelbare Elemente und mobile Raumteiler. Wände mit Tafellack oder Magnetfarbe können Räume verändern, ohne bauliche Maßnahmen. Mit wenig Mitteln, aber einem klaren Blick auf die Bedürfnisse der Kinder, lässt sich auch im Bestand viel erreichen.
Welche Rolle spielen Ausstattung wie Möbel und auch Beleuchtung?
Eine sehr große. Möbel sollten multifunktional und stabil sein – und dabei nicht dominieren. Kinder „arbeiten“ mit dem Boden, mit ihren Händen, mit Bewegung. Wir planen daher viele Bodenaktivitäten ein und achten auf eine angenehme Haptik der Materialien. Holz, Filz, Kork sind beliebt. Auch Beleuchtung wirkt stark auf das Wohlbefinden. Natürliches Licht ist ideal, aber auch künstliches Licht sollte warm, dimmbar und zoniert sein. Ein gutes Lichtkonzept unterstützt die Tagesstruktur, schafft Geborgenheit und fördert Konzentration.
Viele Eltern sind finanziell nicht in der Lage, ein eigenes Haus zu planen. Wie sollten sie die oben angesprochenen Aspekte umsetzen?
Es ist wichtig in Augenhöhe der Kinder zu denken, planen und gemeinsam umsetzen. Was sehen sie? Wo fühlen sie sich sicher? Wo können sie aktiv sein? Mit einfachen Mitteln wie Vorhängen, Teppichen, Kissen, Kisten oder gebrauchten Möbeln lässt sich viel erreichen. Wichtig ist nicht das Budget, sondern die Haltung: Räume sind keine fertigen Produkte, sondern lebendige Umgebungen, die wachsen dürfen – wie Kinder selbst. Aktiv die Kinder mit einbeziehen schafft Identität und Wohlbefinden. Die Kinder fühlen sich ernst genommen und gesehen.
Mit ihrem Team von baukind schaffen sie beispielsweise auch in Arztpraxen, dass aus Warte- und Behandlungszimmern Räume für Kinder werden. Beispiel?
Gern. In der Kinderzahnarztpraxis Kinderlieb in Hamburg geht es nicht allein um Kinderzähne, sondern darum, die Kinder bestärkt und angstfrei durch die Behandlung zu begleiten. Zentraler Leitfaden für den Entwurf war die Frage, wie Gestaltung helfen kann, Angst zu nehmen und Kinder in ihrem Vertrauen zu stärken. Eine Ausgewogenheit zwischen Bewegungsangeboten und Rückzugsmöglichkeiten, ergänzt durch Sound- und Lichteffekte, bietet Kindern vielfältige Optionen, ihre Angst zu überwinden. Spielpodeste dienen als Bühne und Leseecke, ein Turm als temporärer Rückzugsort mit integrierter Klanghöhle. Gucklöcher in verschiedenen Höhen erlauben die Beobachtung des Praxisgeschehens aus einem Versteck. Damit Anspannung abgebaut werden kann, laden der Spielturm und der Naturholzbaum im Wartezimmer zur Bewegung ein. Für Kinder sind die Kletterbäume eine willkommene Herausforderung, gleichzeitig können sie auf den oberen Ästen die Perspektive der Erwachsenen einnehmen. Schon im Eingangsbereich zeigt sich, wer die Hauptpersonen sind. Weil sich der Empfangstresen zu einer Seite absenkt, begegnen Kinder der Sprechstundehilfe auf Augenhöhe. Durch die Aufhebung solcher Sichtbarrieren, denen Kinder im Alltag immer wieder ausgesetzt sind, entsteht ein erstes Willkommenssignal. Diese Botschaft wird in die Warte- und Behandlungsräume weitergetragen bis hin zum eigenen kleinen Kinder-WC.
Was muss sich passieren, dass die Bedürfnisse von Kindern mehr als eine Nebenrolle spielen?
Wir müssen aufhören, Kinder als „kleinen Erwachsenen“ zu betrachten – sie haben eigene Bedürfnisse, Sichtweisen und Rechte. In der Architektur heißt das: Wir brauchen kindgerechte Maßstäbe, flexible Grundrisse, durchdachte Außenräume. Bildungseinrichtungen dürfen keine Funktionsbauten sein, sondern inspirierende Lebensorte. Und im Wohnbau sollte Kindsein kein Störfaktor, sondern ein Gestaltungsmotor sein. Denn: Wer für Kinder baut, baut für die Zukunft. //kakü

Nathalie Dziobek-Repler
ist Architektin, Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Architekturbüros baukind. Sie studierte in Dortmund und Bochum Architektur und arbeitete fünf Jahre als Architektin in New York. Seit 2010 entwickelt sie mit ihrem Team Räume mit dem Anspruch, die Kinder ernst zu nehmen. Ihre Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, Innenarchitektur, Pädagogik und Design „Unsere Stärke liegt in der Gestaltung – ganzheitlich, kindgerecht und mit einem feinen Gespür für Atmosphäre“, sagt Dziobek-Bepler, selbst Mutter von drei Kindern. Dieses Wissen gibt sie weiter als Gastprofessorin für Spiel- und Lerndesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
www.baukind.de