„Dekoration ist nicht unbedingt kreativ“

WAS IST KREATIV UND WER IST KREATIV? Kann man das erlernen? Wir haben mit jemandem gesprochen, der es weiß: Georg Peez, Kunstpädagoge an der Universität Frankfurt.

Georg Peez ist Professor für Kunstpädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität. Er lehrte zuvor unter anderem an den Universitäten Duisburg-Essen und Erfurt. Kreativitätsforschung und die Gelingensbedingungen der Kreativitätsförderung liegen dem Vater von zwei erwachsenen Kindern besonders am Herzen. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung der Kinderzeichnung, das ästhetische Verhalten von Heranwachsenden sowie die Integration digitaler Medien in den Kunstunterricht und die Lehre an der Universität. Er gewann Preise für „exzellente Hochschullehre“ und ist Mitherausgeber einer Schulbuchreihe.

Herr Professor Peez, Kreativität ist ein weites Feld. Ob nun beim Basteln oder Musikmachen, mitunter auch bei Backversuchen oder sehr gerne im freiem Spiel – ist Kreativität tatsächlich bei allem möglich?

Georg Peez: Kreativität ist eine sehr wichtige Fähigkeit und Kompetenz, die in allen Lebenslagen eingesetzt werden kann. Mir fällt kein Bereich ein, wo sie nicht notwendig oder sinnvoll wäre. Wenn auch Kreativität nur ein Wort ist oder nur eine Fähigkeit beschreibt, handelt es sich letztlich um ein sehr komplexes Feld, in das ganz viele Faktoren hineinspielen. Es geht um die Person, um Problemerkennung, es geht um das Umfeld und Produkte, es geht um Gedanken und um Materielles, alles Dinge, auf denen unsere ganze Kultur und unsere Entwicklung basieren. Kreativität spielt überall mit hinein.

Wie groß ist die Portion Kreativität, die in einem jungen Menschen steckt? 

Das ist in der Wissenschaft umstritten, denn es gibt, grob gesagt, zwei Meinungen, wie man Kreativität definiert. Die eine Definition beschreibt Kreativität damit, neue Ideen zu haben, die eine Gesellschaft oder eine Kultur weiterbringen. Das sind beispielsweise neue Erfindungen im technischen Bereich, aber auch neue, bedeutsame kulturelle Werke. Die andere Auffassung denkt Kreativität nicht vom Produkt her, sondern von der Fähigkeit des Menschen. Demnach steckt Kreativität in jedem Menschen, denn jeder Mensch hat die Anlagen dazu, neue Ideen zu entwickeln. Aus diesem Blickwinkel ist eine Idee neu, die der jeweilige Mensch vorher nicht hatte, die aber anderen Menschen durchaus bekannt ist. Kinder haben kaum Wissen über Kultur und Techniken, aber sie trainieren, neue Ideen zu entwickeln, auch wenn die Idee selbst gar nicht neu ist… 

…und Kindern geht dann ein Licht auf, wenn sie mit dem neuen Weg ihrem Ergebnis näherkommen?

Genau, während das erste Phänomen als kulturelle Kreativität einzuordnen ist, beschreibt der zweite Ansatz die individuelle Kreativität. In der Pädagogik gehen wir von dem zweiten aus, und genau da sollte die Förderung ansetzen. 

Womit können Eltern denn die kreative Ader des Nachwuchses zum Pulsieren bringen?

Das ist gar nicht so einfach, denn es braucht zunächst das Erkennen des Ist-Zustandes, also eine Diagnose, da Kreativität aus vielen Aspekten, Bereichen und Fähigkeiten besteht. Eltern sollten beobachten, wo das Kind Förderbedarf hat und besser nicht Bereiche unterstützen, die das Kind ohnehin schon gut beherrscht. Wenn ein Kind sehr schnell ganz unterschiedliche Ideen entwickelt, dann könnte es gut sein, dass es für dieses Kind wichtig wäre, die Tiefe einzelner Ideen zu entdecken und diese dann auch weiterzuentwickeln. Es gibt ja Kinder, die sehr spontan sind, viele Ideen habe, aber häufig aus diesen Ideen kaum etwas machen können. 

Spielt da die Konzentrationsfähigkeit eine Rolle, wie sehr sich Kinder in ein Thema vertiefen können?

Ja, wir nennen das auch Elaboration, das Ausarbeiten von Ideen, die Freude, an einer Sache dranzubleiben. Aber vieles von dem, was es an vermeintlich kreativen Angeboten gibt oder die man kaufen kann, sind für das ein oder andere Kind durchaus hilfreich, für andere Kinder aber überhaupt nicht.

Sollten Kinder, die vor Ideen sprudeln, eher mit einem Angebot zum Dranbleiben gefördert werden, und Detailverliebte besser in der Ideenquelle baden?

Auf den kreativen Prozess bezogen sollte geschaut werden, ob das Kind eine Offenheit für die Welt hat oder ob es eher eingeschränkt wahrnehmend ist. Kann es Probleme erfassen, erkennen und analysieren, hat es Strategien, sich Informationen zu beschaffen? Geht es gleich und sehr spontan ans Werk oder hat es eine gewisse Distanz zu seinem Vorhaben? Kann es das Problem und dessen Lösung reflektieren und entsprechend etwas ausarbeiten? Und wie geht das Kind mit dem Ergebnis um? Kann es das Resultat auch kritisch betrachten oder wird automatisch, auch von den Eltern, alles für gut befunden? Viele denken, sie fördern ihr Kind, wenn sie es dauernd loben, aber sie fördern damit eben nicht die Möglichkeit der Selbstreflexion und damit der Weiterentwicklung von Ideen. 

Lob allein macht also noch keine Meister. Was braucht es noch außer Anerkennung und Anregung?

Wichtig ist auch, die Ergebnisse mit den Kindern zu besprechen, sich dafür Zeit zu nehmen. Etwas nur schön zu finden, ist Dekoration und Dekoration ist nicht unbedingt kreativ. Viel wichtiger ist das Kind nach Hintergrundgedanken zu befragen, Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit den Materialien zu hören und vielleicht auch weiterführende Ideen zu vertiefen, die das Kind im Schaffen äußerte. Eltern sollten nicht nur auf das Ergebnis schauen und den Trugschluss begehen: Es sieht schön aus, also ist es kreativ.

Das vollständige Interview findet ihr in der aktuellen Ausgabe von StadtLandKind oder im aktuellen ePaper.

30. November 2023
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