„Alltagsrassismus ist Lebensrealität“

Wie erklärt man Kindern, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden? Wie unterstützt man Kinder, die in Kita und Schule Rassismus erfahren, wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft benachteiligt und ausgegrenzt werden? Wir haben uns mit Dr. Nkechi Madubuko unterhalten. Sie ist promovierte Soziologin, Autoirn und Diversity Trainerin.

Sehr geehrte Frau Madubuko, Sie haben 2016 das erste Buch im deutschsprachigen Raum zum Thema Umgang mit Rassismuserfahrungen bei Kindern und Jugendlichen geschrieben. Was erleben Kinder und warum ist Empowerment durch die Eltern so wichtig?

Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte erleben in Kita, Schule und im öffentlichen Raum immer wieder rassistische Ablehnungserfahrungen und Abwertungen. In der Kita beispielsweise gibt es zum Teil Alltags–Mechanismen, die diskriminierend sind: Vorurteile unter Kindern, mangelnde interkulturelle Sensibilität der Erzieherinnen oder Skepsis gegenüber Mehrsprachigkeit. Diese können ihren Selbstwert schon früh schwächen. Schüler_innen mit Migrationsgeschichte müssen sich in der Schule zum Teil gegenüber Lehrer_innen mit starken Vorurteilen beweisen (diversitätssensible Kompetenz ist kein Grundbestandteil der Lehrerausbildung), rassistische Inhalte im Unterricht ertragen oder sich im Umgang mit Mitschülern verteidigen. Dieser Alltagsrassismus sind Lebensrealitäten bestimmter Kinder, die dessen körperliches und seelisches Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigen, wenn sie keinerlei Unterstützung und Rückhalt erleben.

„Rassismuserfahrungen sind eine signifikante Form emotionaler Gewalt“

Was macht die Erfahrung von rassistischer Diskriminierungmit Kindern und Jugendlichen?

Rassismuserfahrungen sind eine signifikante Form emotionaler Gewalt. Das haben aus der Race-Relatetd Stress Forschung und Studien der interkulturellen Psychologie ergeben. Wenn diese häufig erlebt werden, entsteht eine ernste Bedrohung für das Selbstwertgefühl und das Selbstkonzept des Kindes. Sie verletzten das Kind auf eine solche Weise, dass es seinen/ ihren Glauben an sich selbst schwächt, sich schämt und unsicher wird, Kinder, die wiederkehrend zu „anderen“ gemacht werden und ständig mit negativen Stereotypen und Vorurteilen leben müssen, verlieren bald den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Minderwertigkeitsgefühle können entstehen, die sich u.a. auf schulische Leistungen negativ auswirken können. Ist das Selbstwertgefühl geschwächt, sinkt auch die Bereitschaft und das Vertrauen soziale Bindungen einzugehen. Die ganze Entwicklung des Kindes in seiner Persönlichkeit kann durch diese Erfahrungen beeinflusst werden, wenn die Erfahrungen regelhaft passieren. Es wird sich bald ausgeliefert fühlen und dies verinnerlichen. Diese Gefühle können sich bis ins Erwachsenenalter ziehen. Wenn Scham, Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühle überhandnehmen und man glaubt, man sei „Mensch zweiter Klasse“, werden nicht wenige Menschen jeden Alters davon krank.

Der Tenor der Buches ist „Du musst das nicht aushalten“. Was sind weitere Elemente des Empowerment-Konzepts in ihrem Buch?

„Empowerment als Erziehungsaufgabe“ versucht Alltagsrassismus als Teil die Lebenswelt der Kinder ernst zu nehmen und in  die Erziehung einzubeziehen mit dem Ziel sie in ihrer Identität zu stärken und sie zu schützen, wo es geht. Die Kinder sollen über die Eltern mit einem inneren Schutzraum (Zuhause) und äußeren Schutzraum (regelmäßigen Kontakt zu vorurteilssensiblen Gemeinschaften) ausgestattet sein. Diese sollen helfen sich selbst positiv und wertvoll zu erleben und Gegenerfahrungen zu sammeln. Empowernden Rückhalt zu haben heißt, Eltern zu haben, die Stolz auf ihre Identität mitgeben und Fragen beantworten wie: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Sich wehrhaft fühlen, durch Eltern, die offene Ansprechpartner sind und sich für sie einsetzen, wenn es zu Diskriminierungen oder Sprüchen kommt (durch Gespräche mit Verursachern, direkte Antworten in der Situation, Beschwerdebriefe an Schulleitung bis hin zum Wechsel einer Einrichtung oder des Vereines). Der Tenor sollte sein: „Du musst das nicht aushalten, ich stehe hinter dir“. Eltern, die ihnen Positives über ihre Herkunft/Religion erzählen und sie auf Rassismus altersgerecht vorbereiten. Eltern, die ihre Identität (Interessen) fördern und ihnen damit zeigen: „Du bist viel mehr als nur das schwarze Mädchen“. Aktive Strategien im Umgang mit Rassismus durch Gespräche und konkrete Tipps können helfen sich nicht als Opfer seines Umfeld zu fühlen und keine Minderwertigkeitsgefühle zu entwickeln. Und schließlich ist grundsätzlich eine emotionale Distanz zu Rassismuserfahrungen hilfreich, Rassismus nicht als Maßstab und Begrenzung für sich selbst zu verinnerlichen. Das wäre besonders traurig, wenn das Kind glaubt nichts „erreichen zu können“ oder „niemals Arzt zu werden“, weil es z. B. Muslim/Schwarz oder Sinti ist.

In Ihrem Buch sprechen Sie von einem inneren und äußeren Schutzraum. Was ist mit einem äußeren Schutzraum gemeint?

„Äußerer Schutzraum“ ist ein Ort im Alltag des Kindes, wo es nicht nicht als „der Araber“, die Schwarze“, sondern als Individuum akzeptiert ist. Sich zugehörig zu fühlen ist ein Grundbedürfnis für Menschen jeden Alters. Das stressige Gefühl „anders“ zu sein, fällt in solchen Kontakten von Gleichgesinnten im äußeren Schutzraum weg. In dieser vorurteilssensiblen Gemeinschaft wird die Erfahrung des „Othering“ abgelöst von dem Gefühl ein wertvoller Teil von etwas Schönem, Positivem zu sein und Raum zu geben sich selbst zu erforschen. Beispiele für solche Räume sind vorurteilssensible Jugendgruppen, Kindergruppen, Diasporatreffen oder Treffen mit Freunden, die selbst wissen, was es heißt, in eine negative Ecke gesteckt zu werden und es selbst bewusst nicht tun.

Warum sollten  Kinder lernen, sich emotional zu distanzieren, wenn sie zu „anderen“ gemacht werden?

Wenn man als Eltern verstanden hat, was solche Sprüche mit einem kleinen Menschen machen, d.h. Rassismus in seinem herabsetzenden Effekt auf das Selbstkonzept versteht, ist es wichtig dem Kind klarzumachen, dass das Gesagte das Kind selbst als Person in keinster Weise abbildet. Es soll es auf keinen Fall verinnerlichen. Mit diesem Wissen über den Hintergrund von Rassismus und rassistischer Sprache, das Eltern altersgerecht vermitteln, ist das Kind in der Lage sich besser davon emotional zu distanzieren, sich unabhängiger von diesen negativen Schablonen zu sehen. So kann es eine freie Identität neben diesen Schablonen entwickeln, statt sich als Opfer von Rassismus und Mensch zweiter Klasse zu sehen. Jüngeren Kindern gegenüber sollte aber unbedingt eine altersgerechte Form gewählt werden. Außerdem sollten Sie als Vorbild selbst auf respektvollen Umgang und Sprache gegenüber anderen im Umfeld des Kindes Acht geben und bei „nett gemeinten“ rassistischen Sprüchen „Mischlingskind“, „Mulatte“, „N-Wort“, auch von Freunden oder Familienmitgliedern, klar Grenzen setzen: „Das geht so nicht.“
bw // Foto: privat

Dr. Nkechi Madubuko ist promovierte Soziologin, Autorin und arbeitet seit 20 Jahren als freie Moderatorin. Als Autorin veröffentlichte sie Bücher und zahlreiche Artikel zu den ThemenUmgang mit Rassismuserfahrungen, Empowerment für Kinder und Jugendliche sowie Diversitätssensibilität im Kontext Schule.

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