Die Zusammenmacher

Dinge gemeinsam anpacken, aufeinander Rücksicht nehmen, Spaß haben am Leben draußen – das sind alles keine Werte, die momentan in der Welt Hochkonjunktur haben. Wie gut, dass es da noch die Pfadfinder gibt … Zu Besuch in der Gruppenstunde in Gorxheimertal.

ZusammenmacherDa steht es, mitten auf dem Tisch: das Modell des Wunsch-Stuhls. So soll er mal aussehen, ein Stuhl wie ihn angeblich schon die Wikinger benutzten. Eine Konstruktion aus zwei ineinandergesteckten Holzbrettern. So einfach wie genial. Auf der Wunsch-Liste der Wölflinge in Gorxheimertal, also der sieben- bis elfjährigen Pfadfinderinnen und Pfadfinder, stehen die Wikingerstühle ganz oben. Bei einem Zeltlager haben die Kinder die urigen Sitzgelegenheiten entdeckt und beschlossen: So was wollen wir auch haben! Doch die Pfadfinder wären nicht die Pfadfinder, wenn mit dem Haben-Wollen nicht auch das Selber-Machen einherginge. Stühle kaufen kann schließlich jeder. Und so fliegen an diesem Mittwochnachmittag im Pfarrheim der Gemeinde St. Wendelin die Späne. Und dabei stellt sich raus: Ganz so einfach wie sie aussieht, ist die Stuhl-Konstruktion doch nicht.

Nicht alle der Kinder sind den Umgang mit Säge, Schraubzwinge und Schmirgelpapier gewöhnt. Ist ja auch ganz schön kniffelig, mit der Handsäge dem aufs Holz gezeichneten Bleistiftstrich zu folgen. Wer schon einen Schritt weiter ist, hilft den anderen. Nicht immer sind die die Ratschläge zielführend. „Mach mal mit richtig Druck und zieh ganz fest durch“, lautet ein Expertentipp von Kumpel zu Kumpel. Doch die Säge entfernt sich nur noch weiter vom vorgezeichneten Weg. Ruhig erklärt Esther Reinhardt den Handwerkerkönigen, warum es manchmal – auch beim Sägen – mit weniger Druck und mehr Geduld besser geht.

Seit vergangenem Herbst ist Reinhardt als Gruppenleiterin aktiv. Ihr Sohn, der achtjährige Moritz, ist einer der Wölflinge. Sie selbst war nie Pfadfinderin – bis jetzt. „Ich mag den Umgang mit Kindern“, erklärt sie ihr Engagement und spannt ein neues Schmirgelpapier ein. Zusammen mit ihr betreut Christian Stamm die Mittwochsgruppe. Stamm ist der katholische Pfarrer in Gorxheimertal. Vor etwas mehr als zwei Jahren hat er die Pfadfinder in seiner Gemeinde ins Leben gerufen. Ein Kommunionkind hatte sich eine Pfadfindergruppe im Ort gewünscht und nicht mehr lockergelassen, solange bis Stamm einwilligte. „Am 25. April 2015 fand die erste Gruppenstunde statt“, erinnert sich der Pfarrer noch ganz genau.

Aus einer Gruppe sind inzwischen zwei geworden: Mittwochs kommen die 15 Wölflinge zusammen und freitags treffen sich die Jungpfadfinder und Pfadfinder, also die 12- bis 16-Jährigen. Zu Jeans und Hemd trägt Christian, wie ihn die Kinder nennen, heute sein Halstuch. Grau ist es, das weist ihn als Gruppenleiter aus, und es wird von einem Lederknoten zusammengehalten. Zwei Holzstückchen an Lederriemen baumeln außerdem daran. „Das sind Woodbadges“, erklärt Christian Stamm. Sie zeigen, dass er die international anerkannte Basisausbildung für Leiterinnen und Leiter in der DPSG, der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, der auch die Pfadfinder im Gorxheimertal angehören, durchlaufen hat. Ganz so weit ist Jonas noch nicht. Sein Halstuch ist orange. An dieser Farbe und an dem Hemd-Aufnäher mit dem Wolfskopf, erkennt man seinen Status als Wölfling. Dass der Achtjährige trotzdem längst kein Anfänger mehr ist, beweist der Blick auf seine Kluft. Das charakteristische khakifarbene Pfandfinder-Hemd ist bereits voller Aufnäher und Abzeichen – unter anderem Erinnerungen an die vier Fahrten, auf denen er schon dabei war. Begeistert erzählt der Grundschüler von den Zeltlagern und davon, wie toll es war, das Holz fürs Lagerfeuer am Abend zu holen.

„Groß schützt Klein“

Auch Niklas und Adorjan können das nächste Lager kaum erwarten. „Gut, dass wir jetzt die Stühle bauen, die nehmen wir mit“, sind sie sich einig. Auch ein Zettel mit den Pfadfinderregeln liegt im Gruppenraum. Darin geht es um den respektvollen Umgang miteinander, um Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Umweltbewusstsein und das Vertreten der eigenen Meinung. „Auswendig lernen muss die Regeln bei uns niemand“, sagt Christian Stamm. Die Kinder sollen die Werte verinnerlichen, am besten ganz nebenbei. Zum Beispiel mit dem Pfadfindergruß: Dabei bleiben Zeige-, Mittel- und Ringfinger der rechten Hand gestreckt, der Daumen legt sich über den kleinen Finger – Groß schützt Klein bedeutet das. Die Kinder wissen das. Außenstehende eher nicht.

Für Nicht-Eingeweihte wirkt so manches Pfadfinderritual etwas aus der Zeit gefallen. Auch kann nicht jeder mit Hemden im Einheitslook und Halstüchern, mit feierlichen Versprechen und Lagerfeuerromantik etwas anfangen. Den Wölflingen in Gorxheimertal ist das egal. Lauthals schmettern sie zum Abschied das Pfadfinderlied: „Flinke Hände, flinke Füße, wache Augen weites Herz. Freundschaft, die zusammenhält, so verändern wir die Welt.“

Ob Niklas und Adorjan, Lena, Jonas, Moritz und die anderen das tatsächlich vorhaben, das mit dem Welt-Retten? Vielleicht noch nicht heute oder morgen. Aber dass man die Schärfe einer Säge, die Kälte eines Baches und die Wärme eines Feuers nicht bei Minecraft spürt, sondern nur wenn man sich ins echte Leben wagt, das haben auch die Jüngsten hier schon begriffen. Und es scheint, als hätten sie ziemlich viel Spaß dabei. npo // Fotos: mschi

 

Infos: Begründer der Pfadfinderbewegung war der ehemalige britische General Robert Baden-Powell, der 1907 in England das erste Pfadfinderlager veranstaltete. Anfang des 20. Jahrhunderts breitete sich die Jugendbewegung in der ganzen Welt aus. Ziel von Baden-Powell war es, junge Menschen so in ihrer Entwicklung zu fördern, dass diese Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen können. In seinem letzten Brief schrieb er 1941 den berühmt gewordenen Satz: „Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als ihr sie vorgefunden habt.“ In Deutschland gibt es vier von der Weltpfadfinderbewegung anerkannte Pfadfinderverbände: die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG), die Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG), den Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) sowie den Bund der Pfadfinderinnen (BdP) und Pfadfinder. Daneben gibt es über 100 weitere Pfadfinderbünde, die jedoch nicht alle die freiheitlichen und demokratischen Grundwerte der anerkannten Verbände teilen.

3. Juni 2017
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