Kinder werden zu Klimaschützern

Weniger Müll, weniger Fleisch, weniger Autofahren – Ideen, wie wir unser Leben umweltverträglicher gestalten können, gibt es viele. Aber was, wenn die hehren Ziele auf den hektischen Familien-Alltag treffen? Wir haben nachgefragt bei zwei Heidelberger Familien, die sich selbst mehr Nachhaltigkeit verordnet haben.

Den Anfang machte die zehnjährige Leni 

KlimaschützerGute Vorsätze können ganz schön anstrengend sein, nicht nur für denjenigen, der sie fasst. Familie Engel kann ein Lied davon singen: Seit Silvester 2017/2018 hält Tochter Leni ihre Eltern Laura und Ruben und den jüngeren Bruder Bruno auf Trab. „Plastikmüll reduzieren“, das ist der Plan, den die zehnjährige Schülerin aus Heidelberg geschmiedet hat – und alle sollen mithelfen. „Leni macht sich permanent Gedanken darüber, wie sie die Welt verbessern kann“, sagt die selbstständige Kommunikationsdesignerin Laura Engel-Rieger – und es klingt amüsiert, aber auch sehr bewundernd. Denn Leni hat es geschafft, ihr Thema weiterzutragen – in die Schule, in den Freundeskreis und vor allem in ihre Familie, die seitdem so einiges verändert hat. Eine Woche lang haben die Engels im Urlaub versucht, gar keinen Plastikmüll zu verursachen. „Wir haben es nicht ganz geschafft, aber wir haben gemerkt, was möglich ist“, so Laura. Stück für Stück versucht die Familie nun, ihren Alltag nachhaltiger zu gestalten – und damit sind die Engels nicht allein.

Angesichts von Plastikteppichen im Meer, Feinstaubalarm in den Städten, Nitrat- und Medikamentenrückständen im Wasser wird immer sicht- und spürbarer, wie sehr wir uns mit der Belastung der Umwelt selbst schaden. Längst sind nicht mehr nur erklärte „Ökos“ überzeugt davon, dass etwas passieren muss. Das wachsende Umweltbewusstsein spiegelt sich in steigenden Zustimmungswerten für die Umwelt-Parteien ebenso wie im immer größeren Zulauf zu  Veranstaltungen wie etwa der „Wir haben es satt“-Demonstration: Anfang dieses Jahres gingen dabei in Berlin mehrere zehntausend Menschen für eine umweltverträgliche Landwirtschaft auf die Straße. Angestupst durch Medienberichte, Schulprojekte oder schlicht das eigene Erleben – Stichwort Dürresommer 2018 – beschäftigen sich immer mehr „ganz normale“ Familien mit Themen wie Ressourcenverbrauch oder Müllvermeidung.

Konsumverhalten analysieren – Abfall reduzieren!

Auch die vierfache Mutter Sabine Rath ist ins Grübeln gekommen: „So wie wir von unseren Großeltern wissen wollten, was sie zwischen 1933 und 1945 getan haben, werden unsere Kinder und Enkel irgendwann fragen, was wir gegen Umweltzerstörung und Klimawandel unternommen haben“, vermutet sie. Als vorbildlich-umweltbewusst würde sie sich gar nicht bezeichnen. Doch eine TV-Dokumentation über Plastikmüll hat die Heidelbergerin so bewegt, dass sie beschlossen hat: Es muss sich etwas ändern. Die Raths begannen, ihr Konsumverhalten zu analysieren – und Abfall zu reduzieren. Das Ziel: Binnen einem Jahr wollen sie ihr Müllaufkommen um die Hälfte schrumpfen. Gar nicht so einfach für eine Großfamilie mit vier Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren, in der beide Elternteile berufstätig sind: Sabine Rath arbeitet als Change Managerin bei der BASF, ihr Mann ist selbstständiger Musikproduzent und DJ. Wie die Familie Engel stellten auch die Raths von Plastik- auf Glasflaschen um. Gemüse landet beim Einkaufen in wiederverwendbaren Stoffsäckchen statt in Papier- oder Plastiktüten.„Und an der Frischetheke in unserem Supermarkt kann man sich Käse und Wurst seit Kurzem in mitgebrachte Dosen füllen lassen“, erzählt Sabine. In anderen Fällen galt es, Kompromisse zu finden: „Von meiner Idee, keine Süßigkeiten und kein Knabberzeug mehr zu kaufen und stattdessen Kekse und Chips nur noch selbst zu machen, waren meine Mädels nicht sehr begeistert“, nennt Sabine ein Beispiel. Ihr Fazit nach anderthalb Monaten Müllvermeidung: „Es ist anstrengend. Vom Einkauf bis zum Kochen muss alles viel besser geplant sein als vorher.“ Für Spontan-Einkäufe gilt es, immer Beutel oder Dosen dabei zu haben. „Mein Mann ist da schon besser als ich“, hat Sabine festgestellt. Besonders gut vorbereitet muss der Gang in den Unverpackt-Laden sein. Immer mehr dieser  Lebensmittelgeschäfte, die komplett auf Verpackungen verzichten, eröffnen in der Region: Vom Müsli über die Schokolade bis zum Spülmittel füllen die Kunden hier alle Waren in mitgebrachte Behälter ab – das ist nicht nur völlig ungewohnt, sondern auch deutlich zeitaufwändiger.

Es ist eine Umstellung und die ist erst einmal anstrengend 

„Die Strukturen, in denen wir leben, sind nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Wer sich nachhaltig verhalten will, muss ausscheren aus dem Strom“, bestätigt Viola Muster. Beim ConPolicy-Institut für Verbraucherpolitik befasst sich die Sozialwissenschaftlerin mit Verbraucherverhalten und nachhaltigem Konsum. Eine Schwierigkeit sind in ihren Augen die fehlenden Anreize. Viola Muster: „Wer sich nachhaltig verhält, bekommt keine unmittelbare Belohnung dafür.“ Außer vielleicht den Stolz auf das schon Erreichte. „Als wir angefangen haben, von Plastik- auf Glasflaschen umzustellen, dachten wir erst, das geht nicht. Aber es funktioniert – schon seit über einem Jahr“, berichtet Laura Engel-Rieger. Sie hat festgestellt: Ist man erst einmal sensibilisiert, kommt man von einem Thema zum nächsten. Den Weg hin zu einem nachhaltigeren Konsumverhalten betrachtet sie ebenso wie Sabine Rath als Herausforderung. Einen Zwang jedoch will keine der beiden Mütter daraus machen. So liegt bei den Raths nach wie vor eine Sicherheits-Fertig-Pizza im Gefrierfach. Und Laura und Ruben wissen zwar, dass sie sich beim Thema Autofahren noch weiter einschränken könnten, aber, so Laura, „so weit hat Leni uns noch nicht.“

Als nächstes steht plastikfreie Bad auf der Liste

„Wenn man die Sache zu dogmatisch angeht, schlägt die familiäre Zustimmung schnell in Ablehnung um“, befürchtet Sabine. Stück für Stück will sie den Weg weitergehen und jeden Schritt im Familienrat besprechen. Als nächstes steht das plastikfreie Bad auf ihrer Liste. Auch Leni bleibt ihrem Vorsatz treu und verbessert die Welt in kleinen Schritten – mit Stoff- statt Papierservietten, selbst getrocknetem Heu für die Kaninchen und mit vielen Denkanstößen für ihre Freunde und Familie. Und von Ruben Engel, der als Medienanwalt tätig ist, kam zur Überraschung der ganzen Familie der Vorschlag, in Zukunft möglichst auf Fleisch zu verzichten.

Ob diese kleinen Veränderungen im Konsumverhalten tatsächlich etwas bewirken? Viola Muster zögert. Entscheidend für die Ökobilanz von Familien sind der Forscherin zufolge die Themen Mobilität und Wohnen – doch gerade in diesen Bereichen konsumieren insbesondere die gut ausgebildeten Gutverdiener viel zu viel. Wer etwas bewegen wolle, müsse daher an diesen Punkten ansetzen. „Auch wenn’s weh tut“, so Viola Muster.

npo // Fotos: sho

3. März 2019