Manche scheitern täglich. Oder: mein Babysitter heißt heute Bibi!

Ich habe in diesem und dem letzten Jahr sehr viel gelernt. Und eines ist sicher: Homeschooling und Home-Office parallel funktionieren nicht. Es ist nicht miteinander kompatibel. Elternsein ist generell oftmals sehr herausfordernd. Besonders aber in dieser stressigen und turbulenten Corona-Zeit. Ich habe ein schulpflichtiges Kind und eines im Kindergartenalter. Den täglichen Spagat  kann sich jeder ausmalen. Alle Mütter und Väter, besonders Alleinerziehende, fühlen sich von der (Schul-) Politik nach wie vor alleingelassen. Und auch wenn ich sonst  kein großer Fan von Schuldzuweisungen in Richtung Politik bin, muss ich diesen Stimmen recht geben. Es ist unglaublich, was wir seit Monaten leisten beziehungsweise was uns abverlangt wird.

Familien stehen gefühlt seit der Entdeckung des gefährlichen Corona-Virus „Covid-19“ ganz hinten in der Schlange an. Mit all den Auflagen seit Beginn der Pandemie fühlt man sich irgendwie noch „alleiner“ als ohnehin mit einem Partner, der im Ausland berufstätig ist. Quasi alleinerziehend, muss ich auch mit Kindergärten im Notbetreuungsbetrieb und Schulen im Distanz- oder Wechselunterricht alle Anforderungen des Alltags alleine meistern. Aber auch oder vielleicht erst recht unseren Kleinsten wird im Lockdown sehr viel abverlangt. In unzähligen Elternratgebern wird immer betont, wie wichtig geregelte Strukturen, alltägliche Abläufe und Rituale sind. Und nun? Seit über einem Jahr sind diese hinfällig und nichts ist mehr garantiert. Gefühlt leben wir nur noch von Tag zu Tag und ich kann es schon nicht mehr zählen, wie oft ich zu meinem Sohn gesagt habe: „Es ist noch nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich wird es so sein“ oder „Das ist der aktuelle Stand, kann sich aber schnell wieder ändern“. Manchmal weiß ich nicht, wo vorne und hinten ist.

„Warte bitte nochmal kurz …“

Im letzten Lockdown kam ich mit meinem Sohn und einem Kleinkind oft an meine Grenzen. Zwischen Klassenchats, Videokonferenzen, Projektarbeiten, Videos aufzeichnen und  Arbeitsblättern ausdrucken musste zum einen meine Arbeit im Home-Office erledigt werden, die tägliche Hausarbeit schrie mir förmlich ins Gesicht und auch die Kleinkind-Bespaßung durfte nicht hintenanstehen. Der Leistungsdruck ist enorm. Das digitale Lernen setzt Eigenverantwortung voraus, was mich wiederum zur fordernden Teilzeitlehrerin macht. Viele Eltern sind beide berufstätig und können nicht ständig darauf achten, ob alle Aufgaben der Kinder auch wirklich erledigt  sind. Das heißt im Umkehrschluss, die Kinder müssen gerade sehr viel  Verantwortung für sich selbst übernehmen. Auch die Lehrkräfte können im Distanzunterricht nicht alle Kinder im Blick haben. „Wenn ein Schüler heimlich zeitgleich am Handy zockt, habe ich keine Möglichkeit es abzunehmen. Oftmals sehen wir Lehrer das über den Computerbildschirm in der Zoom-Konferenz gar nicht. Auch wenn das WLAN mal wieder nicht funktioniert, kann man als Lehrer nicht helfen. Da sind wir auf die Unterstützung der Eltern angewiesen“, sagt mir eine Lehrerin im Gespräch. Sie unterrichtet aktuell an einer Weinheimer Schule im Wechselmodell. Manche Unterrichtsstunden lehrt sie von zu Hause aus und für andere fährt sie schnell in die Schule.

„Warte mal bitte, ich muss die Mail noch zu Ende schreiben“  oder „Bitte sei mal ganz leise, ich habe jetzt eine Zoom-Konferenz“ sind Sätze, die meine Kinder leider täglich von mir zu hören bekommen. Eine befreundete Mutter antwortete mir erst kürzlich auf die Frage, ob das Fernlernen bei ihnen gut klappe: „Es läuft nicht immer gut, nein. Es läuft sogar – zugegebenermaßen – sehr, sehr schlecht. Meine Tochter hat regelmäßige Ausraster. Täglich. Und ich spule meine Kassette ab und versuche das Beste daraus zu machen. Anhand von Wochenplänen bemühen wir uns Strukturen zu schaffen, in denen sie sich zurechtfindet. Dennoch mache ich mir große Sorgen um unsere Tochter, sie hat sich verändert, ist fast schon depressiv.“

Gerade die jüngeren Kinder brauchen die Unterstützung durch uns Eltern. Mein Sohn ist auf einer weiterführenden Schule, er ist da schon ein bisschen selbstständiger, aber auch das nur bedingt. Denn er kam inmitten der Pandemie in die fünfte Klasse. Viele spielerische Dinge, die in der Schule oder dem Kindergarten stattfinden, können wir Eltern als Einzelpersonen nicht kompensieren. Wir sind nicht der Stuhlkreis, der Partner bei der Gruppenarbeit oder die Theater-AG, die immer dienstags nach dem regulären Unterricht probt.

Tägliche Hindernisse

Mal ist das Internet weg, mal funktioniert die App oder ein Download nicht. Mein Sohn muss täglich seine bearbeiteten Aufgaben in dafür vorgesehene Ordner hochladen. Allein diesen Vorgang zu verinnerlichen dauerte bei uns einige Wochen. Online-Unterricht kann gerade für schüchterne Kinder sehr schwer sein. Was passiert denn mit einem Kind, dem es generell  schwerfällt, sich mündlich am Unterricht zu beteiligen? In den Online-Konferenzen ist die Hemmung vielleicht noch größer etwas zu sagen. Das wirkt sich wiederum negativ auf die Note aus und erhöht den Druck enorm. Es schafft Enttäuschung gegenüber sich selbst und wieder entsteht erneuter Druck. Selbstzweifel kommen auf, Angst den Stoff nicht zu schaffen und zu versagen. Der Kreislauf ist gefühlt endlos. Aber: Freizeitstress wie vor Corona existiert nicht mehr. Keine Treffen mit anderen Familien auf den Spielplätzen, der Sportunterricht entfällt und mein Sohn muss auch nur noch selten von einem Freund abgeholt werden. Kontakte sollen wir ja auf ein Minimum reduzieren. Dafür ist der Arbeits- und Alltagsstress mehr geworden und ich habe mittlerweile gelernt Prioritäten zu setzen. Dann bleibt der Wäscheberg eben einen Tag länger liegen, das Fensterputzen muss auch mal warten und der Balkon wird noch nicht für den Sommer hübsch gemacht. Was das angeht, habe ich mich entschleunigt. Die Schließung der Sportstätten hat große Auswirkungen auf die Kinder. Mein Sohn trainierte dreimal pro Woche und auch meine Tochter war mindestens einmal pro Woche mit ihren Freunden im Verein aktiv. All das findet nicht statt und die angebotenen Zoom-Stunden sind kein Vergleich. Klar, besser als nichts, aber den Sport meines Sohnes zum Beispiel kann man virtuell nicht ausführen und es bleibt deshalb bei reinem Ausdauertraining. Unsere Kleine findet leider  überhaupt keinen Gefallen am Onlinesport. Manchmal kann ich sie mit meiner Unterstützung und Beteiligung bewegen mitzumachen, aber in der Regel verneint sie es einfach. Und das muss man akzeptieren.

Die persönlichen Erfahrungen der vergangenen Monate werden durch einen aktuellen Bericht des ifo Instituts über die Auswirkungen von Schulschließungen bestätigt. Im zweiten Lockdown lernen die Kinder weniger Am 20. April wurde ein Bericht zur aktuellen Situation von Kindern veröffentlicht. Es wurden insgesamt 2122 Eltern im Auftrag des ifo Instituts befragt und die Ergebnisse sind nicht verwunderlich: Im Durchschnitt haben unsere Schulkinder im Corona-Lockdown Anfang 2021 nur 4,3 Stunden am Tag mit schulischen Tätigkeiten verbracht. Das sind 3 Stunden weniger als an einem üblichen Schultag vor Corona. Die gefühlte Wahrheit scheint aber ganz anders zu sein: Auch mein Sohn klagt regelmäßig darüber, dass ihm alles zu viel sei. Dass er eine Pause brauche und dass es sich für ihn nach „mehr“ als vorher anfühle. Laut dem Bericht nehmen 21 Prozent der Schüler seit den ersten Schließungen an Maßnahmen wie Förder- oder Nachhilfeunterricht oder Ferienkursen teil. Auch wir haben uns bei einer Online-Plattform angemeldet, damit ich nicht alles alleine erklären muss, sondern mein Sohn zusätzlich auf eine weitere Hilfestellung zurückgreifen kann. Was mir allerdings an all dem überhaupt nicht gefällt, ist der Medienkonsum. Der Fakt, dass sich unsere zuvor auferlegte  Bildschirmzeit“ vollständig verabschiedet hat. Eigentlich war es bei uns eine halbe Stunde täglich, am Wochenende gerne auch mal etwas länger. Gut, das kann ich seit Beginn der Pandemie vergessen. Laptop, Handy, Fernseher und Co. kommen täglich über mehrere Stunden zum Einsatz. Das hat das Homeschooling so eingeführt, ohne meine Zustimmung. Da wurden wir Eltern nicht gefragt.

Babysitter on demand: Bibi & Tina, Benjamin Blümchen oder Räuber Hotzenplotz.

Während ich meiner Arbeit nachgehe und mein Sohn Arbeitsblätter bearbeitet, sind die Zeichentrick-Helden meiner Tochter auch zu meinen geworden. Sie sind jetzt nämlich mein Babysitter auf Abruf und müssen sie ablenken, damit wir alles schaffen können. Und wieder springe ich mit Anlauf über meine eigentlichen Prinzipien. Und trotzdem: Nicht alles ist schlecht, nicht alles hat negative Auswirkungen auf unsere Kinder. Der Lockdown beziehungsweise der Fernunterricht hat durchaus etwas Gutes. Mein Sohn ist zum Beispiel im Umgang mit dem Laptop, dem Internet und im Allgemeinen mit dem Digitalen viel besser und selbständiger geworden. Außerdem weiß er vieles nun mehr zu schätzen. Seine Freunde, unsere Ausflüge, Besuche bei der Familie und das Privileg, reisen zu dürfen.

Abschließend bleibt nur noch eine Bitte an uns alle: Wenn ihr mit Eltern auf beruflicher Ebene zu tun habt, dann bleibt freundlich. Auch nach der dritten Terminverschiebung, der hundertsten verspäteten E-Mail oder sogar dem Heulkrampf am Telefon. Wir brauchen Verständnis und Solidarität, denn nur gemeinsam werden wir „das Kind schon schaukeln“.

Jelu // Fotos: Adobe Stock

Hilfe für Familien 

Auf der Internetseite familienunterdruck.de finden Eltern Kontakte und tolle Videos zu verschiedenen Themen. Dort bekommt man Möglichkeiten aufgezeigt, wie man mit Ängsten umgehen lernt, wie man positiv und motiviert bleibt, und vieles mehr. Die Hilfen wurden von Wissenschaftlern und Experten für psychische Gesundheit zusammengestellt.

1. Juni 2021