Meine beste Freundin, ihr Baby und ich

Baby

Folge II: Mädelstag mit zweieinhalb Frauen

Es klingelt, ich mache die Tür auf und diesmal schauen mich nicht nur Tinas Augen an, sondern auch zwei blaue Kulleraugen, Paulinas nämlich. Tinas und meine Treffen werden seltener, ihr Terminplan ist voll und richtet sich voll und ganz nach ihrer kleinen Tochter. Umso mehr freue ich mich, wenn ich die beiden sehe.

Es ist kaum zu übersehen: Paulina ist größer geworden.  Und schwerer, wie ich selbst zu spüren bekomme. So machen sich Paulinas mittlerweile sechseinhalb Kilo bemerkbar. Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt sie auf meinem Schoß, sabbert, quietscht vergnügt vor sich her und scheint irgendwie zu merken, dass es gerade um sie geht, denn ihre Augen werden noch größer und sie schaut gespannt auf den Bildschirm.

 

Ich: „Paulina macht einen ausgeruhten Eindruck. Werden die Nächte jetzt besser?“

 

Tina: „Ja, es klappt immer besser. Sie hat auch schon acht Stunden am Stück geschlafen. Das hat mich echt verwundert, aber vielleicht war das auch nur ein ‚Versehen’. Paulina befindet sich nämlich gerade mitten in einem Entwicklungsschub.“

 

Ich: „Was verändert sich denn genau?“

 

Tina: „Das Neueste ist, dass sie jetzt gezielt nach Dingen greifen kann. Vor allem ihre Rassel kann sie jetzt schon schütteln – zwar kann sie sie noch nicht lange halten, aber immerhin.“

 

Das stimmt, denn Paulina lässt, während ihre Mama davon erzählt, ihre Rassel nicht aus dem Blick, schüttelt und schüttelt und zeigt, was sie kann, bis die Rassel mit einem leisen Plumps auf den Teppich fällt.

 

Tina: „Immer wenn sie ein paar Nächte hintereinander nicht gut geschlafen hat, dann weiß ich, dass sie im Schlaf Dinge verarbeitet. Meistens kann sie dann am nächsten Morgen Dinge, die sie vorher noch nicht gemacht hat. So war das auch, als sie zum ersten Mal nach der Rassel gegriffen hat. Oder sie hat sich vor ein paar Tagen auch schon von alleine vom Bauch auf den Rücken gedreht. Das war toll, mitanzusehen.“

 

Ich: „Tauschst du dich mit anderen Müttern darüber aus?“

 

Tina: „Ja, ich habe ein paar junge Mütter beim Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt, mich mit ihnen angefreundet und jetzt treffen wir uns regelmäßig einmal die Woche als Krabbelgruppe. Es ist beruhigend zu sehen, dass diese Entwicklung auch bei den anderen stattfinden und dass es jedem so geht. Wenn ich sie in einer SMS frage ‚Ist das bei euch auch so?’, dann kommt meistens nur eine Minute später die Antwort ‚Ja, keine Sorge. Bei mir auch.’ Außerdem können wir uns gegenseitig auch helfen oder Tipps geben, falls etwas nicht klappt. “

 

Eine weitere Neuheit ist, dass sich Paulina jetzt schon nach dem Essen umsieht. „Sie bekommt noch ihre Flasche und trinkt sie auch immer genüsslich bis zum letzten Tropfen aus, aber sie schaut schon neugierig, was Mama und Papa da eigentlich essen“, sagt Tina. „Mit den anderen Müttern tausche ich mich auch darüber aus. Gott sei Dank, gibt es auch Ernährungsberater, die einem erklären, auf was es bei der Nahrungsumstellung bei Kleinkindern ankommt. Aber bis dahin haben wir ja noch ein bisschen Zeit.“ Autofahren und im Kinderwagen liegen findet Paulina laut Tina jetzt auch „blöd“, denn „dann sieht sie nichts und bekommt nichts mit. Ich lege sie also jetzt schon öfter im Kinderwagen auf den Bauch, damit sie auch ja nichts verpasst“, sagt Tina mit einem Lächeln.

 

Ich habe den Eindruck, dass Paulina schon richtig groß geworden ist. Ich erinnere mich an den Tag, als ich sie im Krankenhaus zum ersten Mal gesehen habe, und jetzt liegt sie zwischen Tina und mir, strampelt vergnügt mit ihren kleinen Beinen und nimmt ihre Umwelt schon richtig wahr. „Du bist ja schon fast ein Schulkind“, witzele ich mit ihr, während ich Tina dabei beobachte, dass sie für einen kurzen Moment nachdenklich wird. Jetzt ist sie schon vier Monate alt – das schwirrt mir und wahrscheinlich auch ihr durch den Kopf. „Das war nur ein Scherz. Bis es soweit ist, vergehen noch sechs Jahre“, sage ich zu ihr und Paulina zeigt, dass sie von unserem Gerede nicht viel hält und Hunger hat.

 

Tina ist eine Vollzeit-Mama. Dass merkt man auch daran, dass sie sich heute über ganz andere Dinge freut, wie noch vor einem Jahr. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so sehr über ein Paket Windeln freuen würde. Man glaubt gar nicht, wie viele Pakete davon im Monat drauf gehen – und billig sind sie auch nicht gerade“, sagt sie mir, während sie Paulina gerade frischmacht. Die scheint sich darüber aber keine Sorgen zu machen. „Dass sie größer geworden ist, merke ich vor allem auch daran, dass ich ständig neue Klamotten besorgen muss, weil sie aus den alten herauswächst. Und auch schon die Zähne im Unterkiefer sind eingeschossen, deshalb sabbert sie auch mehr als vorher“, sagt Tina. „Ich glaube, sie braucht einen Beißring.“

 

Keine fünf Minuten später stehen wir in einem der Gänge für Babyzubehör in der Kinderspielwarenabteilung und ich fühle mich erschlagen von der Flut an Auswahl …

„Wie wäre es mit dem“, sage ich und halte Tina ein buntes Etwas mit bunten Tieren darauf, von dem eines eine niedliche kleine Qualle sein soll, unter die Nase. „Den hat sie schon. Der ist zum Kühlen“, sagt Tina. „Und was ist mit dem? Und wofür ist eigentlich das hier?“, frage ich sie, bekomme aber keine Antwort, weil Tina schon wieder im nächsten Flur verschwunden ist. Sie hat ein weiteres Spielzeug für Paulina entdeckt, aber dafür ist sie noch zu klein. Noch.

Paulina bekommt von unserer Sucherei im Moment nichts mit, denn sie schläft inzwischen seelenruhig in ihrem Kinderwagen und stört sich gar nicht daran, dass sie nichts von den vielen, bunten Spielsachen sieht. Auf dem Weg zum Ausgang bekommen wir von anderen netten Kunden die Tür aufgehalten. Das ist für mich ungewohnt, denn normalerweise bin ich es, die jungen, vollbeladenen Müttern die Tür aufhält. Heute ist das anders. „Ich muss los, die Krabbelgruppe wartet“, sagt Tina als wir uns verabschieden. Bis bald – und vielleicht kann Paulina bis dahin schon wieder was Neues.“

 Was bisher geschah: 

Die ersten drei Monate mit Paulina

FotoskalWindel, Fläschchen, Schnuller – das sind die drei häufigsten Worte, die ich Tina in den letzten Wochen sprechen höre. Wahlweise werden diese dann noch genauer spezifiziert in „volle Windel“, „Fläschchen-Sterilisator“ und „neuer Schnuller“. Drei Monate ist Paulina jetzt alt. Seitdem die junge Familie aus dem Krankenhaus zurückgekommen ist, ist einiges los – sowohl am Tag als auch in der Nacht.

Startschwierigkeiten kennen auch Paulinas Eltern Tina und Markus, denn hatte Paulina anfangs Probleme damit, im Dunkeln einzuschlafen, so können Mama und Papa jetzt durchatmen, denn mit eingeschaltetem Licht müssen sie nicht mehr einschlafen. „Das hat sich mittlerweile alles gut eingependelt. Auch die Nächte werden für uns alle besser, denn jetzt schläft sie fünf oder sechs Stunden am Stück – am Anfang war sie jede Stunde wach“, erzählt mir Tina über das Headset im Auto, während sie von A nach B fährt, denn mit einer kleinen Tochter im Schlepptau muss der Tagesablauf genau geplant werden. Krabbelgruppe und Austausch mit anderen Müttern gehen jetzt vor. Aus dem Zu-Bett-Bringen ist mittlerweile ein Ritual geworden: „Ich singe mit ihr, Schaukel sie hin und her und sie reagiert darauf. So schläft sie schnell, manchmal sogar schon in meinen Armen ein. Ich genieße es richtig, sie abends ins Bett zu bringen. Jetzt fangen wir aber damit an, Paulina daran zu gewöhnen, dass nicht nur ich, sondern auch Markus sie schlafen legen. Wir werden sehen, wie das klappen wird.“
 
Was Paulina anfangs nicht schlafen ließ, waren vor allem auch Bauchschmerzen. „Vielleicht war es mein Mutterinstinkt, aber irgendwie wusste ich, dass es keine Dreimonatskoliken waren, wie mir es viele gesagt haben und wie man es oft hört oder liest“, sagt Tina. Besuche in Kliniken und bei Ärzten wurden in den ersten zwei Monaten immer öfter nötig. Die Diagnose lautete dann: Milcheiweißallergie. Die Konsequenz für Tina war eine, wenn möglich, milcheiweißfreie Ernährung, was sich im Alltag nicht immer durchsetzen ließ. So bekommt Paulina jetzt Milchpulver. „Es ist schade, dass sie keine Muttermilch mehr bekommen kann, weil es ja das Beste ist, was man seinem Kind geben kann. Aber ich versuche mir klar zu machen, dass es hier nicht um mich geht, sondern um sie. Und ich weiß, dass ich ihr damit einen Gefallen getan habe, weil sie jetzt keine Bauchschmerzen hat und es ihr einfach besser geht. Und nebenbei ist es natürlich auch eine Erleichterung, weil Markus mich in diesem Punkt jetzt unterstützen kann.“
 
Als ich Tina besuche, werde ich Zeuge von der Stimmgewalt eines Babys. Hat Paulina mit rosigen Wangen eben noch seelenruhig geschlummert, so schreit sie im nächsten Augenblick so kräftig, dass sich ihr Kopf für eine Sekunde dunkelrot färbt. „Da hat wohl jemand Hunger“, sagt Tina, hebt sie aus dem Bettchen und bereitet das Fläschchen vor. „Streck mal deinen Arm aus“, sagt Tina und tropft mir den Inhalt des Fläschchens auf die Innenseite meines Handgelenks, während ich versuche, die hungrige Paulina mit Grimassen und Geräuschen abzulenken. Vergeblich.  „Und jetzt probier’ mal“. Zugegeben etwas zögerlich probiere ich es und ich kann verstehen, warum kleine Kinder irgendwann mal keine Lust mehr auf Flüssignahrung haben. Paulina scheint der Inhalt des Fläschchens im Augenblick aber noch herrlich zu schmecken. So trinkt sie die Flasche mit weit geöffneten Augen gierig aus, bis auch der letzte Tropfen verzehrt ist. „Das scheint dir zu schmecken, was? Aber warte erst einmal, wenn du in den Genuss von Spaghetti kommst“, sage ich zu Paulina, die mittlerweile wieder vergnügt lacht und mir das Gefühl gibt, dass sie mich irgendwie verstanden hat.
 
Ich: „Am 15. Mai ist Paulina auf die Welt gekommen. Ging diese Zeit für dich schnell oder langsam rum?“
 
Tina: „Ich würde eher sagen, dass ‚schon’ drei Monate rum sind, und nicht ‚erst’ drei Monate. Es war zwar eine harte Zeit mit viel Trubel, weil sie und wir zu wenig Schlaf und sie ja auch noch ihre Bauchschmerzen hatte. Aber die Zeit verging einfach so schnell, weil so viel passiert ist.“
 
Das stimmt! Kleine Veränderungen machen sich allmählich bemerkbar. So erzählt mir Tina zum Beispiel von einem Morgen im Juli. „Wir haben eine Wippe, in die ich sie immer lege und die ich in den Gang stelle, sodass sie mir bei der Hausarbeit zuschauen kann. Um sie zu beschäftigen,  habe ich die Holzfiguren, die an dem Spielbogen der Wippe befestigt sind, mit meiner Hand zum Drehen gebracht. An einem Morgen stehe ich im Bad und höre es Klackern. Ich habe aus der Tür gelinst und gesehen, dass sie die Figuren dann selbst mit ihren Händen zum Drehen gebracht hat.“ Außerdem lacht Paulina jetzt auch bewusst und reagiert auf die vielen Erwachsenen, die ihre Köpfe in den Kinderwagen stecken und Grimassen schneiden.  „Die neueste Entwicklung ist aber, dass sie ihren Kopf nach Geräuschen und Bewegungen dreht. Wenn ich an ihr vorbeilaufe, dann guckt sie mir nach“, sagt Tina stolz.  
In der Schwangerschaft sorgte Vivaldi für Ruhe – jetzt ist es der Fön
 
Tina hat sich in ihrer Mutterrolle voll und ganz eingelebt und weiß, was zu tun ist:  
Wenn Paulina schreit, hat sie eine Checkliste im Kopf, mit der sie den Anlass herausfindet: Hunger, Durst, volle Windel, Schwitzen, Frieren, Schnuller oder braucht sie einfach nur Liebe? „So habe ich zum Beispiel jetzt entdeckt, dass sie schon zahnt, denn ich konnte alle Faktoren ausschließen und sie mit nichts ruhigstellen.“ Die wohl zeitintensivste Veränderung, die Tina an ihrer Tochter in den letzten zwei Monaten entdeckt hat, ist folgende: „Nur noch hinlegen ist nicht mehr – sie braucht Beschäftigung“ –  und ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie die kleine Paulina ihre Mama ordentlich auf Trab hält. „Man muss ihr etwas erzählen, mit ihr spielen und dann ist sie wieder beruhigt. Oft zeige ich ihr Fotos und erkläre ihr, dass sie auf diesem noch nicht in Mamas Bauch war, dagegen bei diesem schon dabei.“ Sollte aber einmal alles nichts helfen, so hat Tina das beste „Beruhigungsmittel“ für ihre Tochter gefunden: Sorgte die Musik von Vivaldi in der Schwangerschaft für ein paar ruhige Stunden, so ist es jetzt der Fön: „Kleinkinder mögen monotone Geräusche. Dass sie aber so auf den Fön anspringt, das haben wir entdeckt, als ich einmal im Bad stand. Wenn nichts mehr geht, hilft der Fön – immer! Er muss einfach nur an sein. Oder Staubsaugen funktioniert auch. Oder der Regen, der auf das Dach vom Wintergarten fällt.“
 
Bei all dem Babyglück versucht Tina sich selbst nicht zu vergessen. Und Paulina trägt ihr Bestes dazu bei, denn „sie fremdelt nicht“: „Darüber bin ich total froh, denn das macht es für uns wirklich einfacher und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Wir haben auch schon Oma-Tage eingeführt: So haben die Großmütter etwas von ihrer Enkelin und sie gewöhnen sich aneinander. Die Großeltern profitieren davon und ich auch, denn so kann ich zwei Stunden in der Woche in den Sport gehen und weiß, dass sie solange in guten Händen ist.“
Das erste Mal „Ausgang“ ohne ihre Tochter, hatten Tina und Markus auch schon.
 
Ich: „War das ein komisches Gefühl? Schließlich hattest du sie jetzt immer um dich herum?“
 
Tina: „Es war schön, denn man sollte auch Zeit für sich haben und nicht vergessen, dass man auch noch ein Paar ist. Aber ganz so entspannt, konnte ich dann doch nicht sein. Denn obwohl man weiß, dass sie gut aufgehoben ist, schaut man aber trotzdem immer aufs Handy, um zu kontrollieren, ob ein Anruf kam. Ich habe sie vermisst und es ist ein komisches Gefühl, wenn man sie selbst nicht ins Bett bringt.“
War für Tina der Wunsch nach einem zweiten Kind kurz nach Paulinas Geburt aufgrund der ganzen Strapazen, Schmerzen und des Notkaiserschnitts „unvorstellbar“, so denkt sie heute – drei Monate später – schon anders darüber. „Ein zweites Kind ist zwar noch weit entfernt, aber zumindest vorstellbar. Jetzt, wo es sich mit Paulina so gut eingependelt hat.“ Und da ist es, dieses Phänomen, von dem man immer hört: Kaum hält man sein eigenes Kind in den Armen und wird angelächelt, wird man für vieles entschädigt, auch wenn man die Strapazen nicht ganz vergessen kann. Es wäre doch auch viel zu schade, dieses Glück nicht zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen, jetzt wo Paulina schon so schnell groß wird, denke ich mir bis ich die kleine Paulina am anderen Ende der Telefonleitung leise meckern höre und Tina sagt: „Ich muss auflegen. Ihre Windel ist voll, ich muss noch die Fläschchen sterilisieren und wo ist eigentlich ihr Schnuller? Bis bald.“
Von Ann-Kathrin Weber
Zur Autorin: Volontärin Ann-Kathrin Weber hat zwar selbst noch keine Kinder, schreibt aber besonders gern über Kinderthemen. Für StadtLandKind hat sie ihre Freundin Tina durch die Schwangerschaft begleitet und besucht ab sofort Baby Paulina und ihre Eltern einmal im Monat für uns. 

2. September 2014
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