Overkill im Kopf: Mental Load

Endlich wissen wir, warum Mütter ständig so erschöpft sind. Die Erklärung heißt: Mental Load. Mental Load ist die unsichtbare Arbeit, die neben der sichtbaren erledigt werden muss. Es bezeichnet sozusagen das „an alles denken müssen“. Passen dem Kind die Schuhe noch?, Wann ist der nächste U-Termin?, Ist der Turnbeutel gepackt?, Was soll eingekauft und gekocht werden? Auch wenn Väter Haushaltsaufgaben übernehmen und ihre Partnerin unterstützen, sind es immer noch in erster Linie die Frauen, die alles organisieren und delegieren. Diese Belastung steigt prozentual mit der Erwerbstätigkeit von Müttern. Es ist wirtschaftlich und gesellschaftlich alternativlos, dass die Erwerbsquote von Frauen kontinuierlich ansteigt. Was jedoch nicht entsprechend ansteigt, ist das männliche  Engagement in Sachen Haushalt und Kinderbetreuung. Viele Mütter haben also mit der Erwerbsarbeit eine weitere Baustelle dazubekommen.

Und obwohl immer mehr Paare ihr Leben nicht mehr „traditionell“ organisieren, sondern sich partnerschaftlich die Aufgaben teilen, lastet das Mental Load in den meisten Fällen auf den Müttern. Das beginnt schon mit der Elternzeit. Noch immer nehmen nur vier von zehn Vätern überhaupt Elternzeit. Die meisten nur zwei Monate und das gemeinsam mit ihrer Partnerin. Doch diese Dauerbelastung kann krank machen.

Gerechte Arbeitsteilung in der Familie muss geplant werden. Die Bloggerin, Autorin, IT-Expertin und dreifache Mutter Patricia Cammarata hat den Begriff „Mental Load“ in Deutschland geprägt. Jetzt hat sie ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie Mental Load entsteht, wie man es erkennt und vor allem lernen wir, wie die Arbeit innerhalb der Familie gerechter verteilt werden kann. Und auch, warum die 50/50 Aufteilung für Väter ein ebensolch großer Gewinn ist, wie für Frauen eine Entlastung.

Mental LoadLiebe Frau Cammarata, Sie haben den Begriff Mental Load in Deutschland geprägt und jetzt ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. Wie und woran macht sich Mental Load bemerkbar?

Der Zustand ist vergleichbar mit einer großen, nicht endenden Erschöpfung. Einem Dauerzustand, den man nicht mehr los wird und der krank machen kann.  ergleichbar mit der Erschöpfung, die Eltern mit einem frisch geborenen Baby erfahren.

Sie beschreiben, dass selbst bei Müttern, deren Partner zuverlässig und konstant die Hälfte der anfallenden Arbeiten übernimmt, die Mental-Load-Belastung so hoch ist, dass sie sich ständig erschöpft fühlen. Wie lässt sich das erklären?

Der Gender Care Gap* zeigt, dass Frauen sowieso schon viel, viel mehr Arbeit rund um Haushalt und Kinder erledigen und dazu kommt dann noch die ganze unsichtbare Last, das Mental Load. Dieses familiäre Projektmanagement ist durch die Sozialisierung fest in Frauenhand. Spätestens wenn Kinder kommen, müssen sich Mütter – egal ob berufstätig oder nicht – darum kümmern, dass alles  läuft. Das nimmt man erst einmal so an, ohne es zu hinterfragen. Es ist historisch so gewachsen, dass die Verantwortungsbelastung bei den Müttern liegt.

Dann beziehen Sie sich mit Ihren Untersuchungen nicht nur auf Deutschland?

Nein. Es ist ein weltweites Problem. Als die französische Cartoonistin Emma Clit 2017 ihr Comic Mental Load veröffentlichte, war das für viele Frauen wie eine Erleuchtung, wie ein Aha- Effekt. Der Clip dazu wurde in den ersten vier Wochen fünf Millionen Mal geklickt. Es war eine große Erleichterung, endlich einen Namen für diesen großen Erschöpfungszustand zu haben. Denn wenn man es nicht benennen kann, dann hinterfragt man es auch nicht und sucht die Schuld nur bei sich. Nach dem Motto: Jetzt leben wir doch schon gleichberechtigt und mein Partner unterstützt mich so toll, warum kriege ich es trotzdem nicht hin? Es muss also mein persönliches Versagen sein …  Natürlich ist eine Diskussion nur in Ländern möglich, die sich Gleichberechtigung leisten können. Wer täglich um sein Leben kämpft, diskutiert natürlich nicht darüber, wer die Küche putzt. Es wäre sinnvoll, sich über die gerechte Aufgabenverteilung zu unterhalten, bevor man zusammenzieht und Kinder bekommt.

Funktioniert die Neuorientierung Ihrer Erfahrung nach auch bei Paaren, die schon lange in  festgefahrenen Strukturen leben?

Je tiefer man in den Strukturen steckt, umso kostspieliger wird es, nochmal Extra-Energie aufzubringen, um neu zu verhandeln. Man muss dann viel mehr Kraft aufbringen, um den Anstoß zu geben. Aber man kann es wie eine Notbremse sehen. Und in der Regel ist der Partner ja auch bereit zu verhandeln. Man liebt sich ja und ist eine gleichberechtigte Partnerschaft eingegangen. Bei mir war es so. Ich war so überlastet, dass ich keine Kraft mehr hatte, noch etwas zu initiieren. Ich habe dann meinen Partner gebeten, Dinge eigenständig zu organisieren. Zum Beispiel unsere Wochenbesprechung. Er organisiert jede Woche ein Meeting, in dem wir uns anschauen, was prinzipiell zu tun ist, was gut läuft und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Wir haben einen regelmäßigen Kommunikationskreislauf in Gang gebracht und hinterlegen alle Ergebnisse schriftlich. Damit wir nicht jedes Mal wieder von vorne anfangen müssen. Es ist Extra-Aufwand, aber es zahlt sich aus!

Das hört sich sehr bürokratisch an – ist das nicht etwas unromantisch?

Doch! Vor allem Männer finden das lustigerweise unromantisch. Es gibt ja das romantische Ideal, dass man sich ohne Worte versteht etc. Das funktioniert aber im Alltag nicht, vor allem nicht mit steigender Anzahl der Kinder. Dann kann man sich überlegen: Wollen wir an etwas festhalten, das nicht funktioniert? Oder fährt man einen strukturierten Weg? Je besser es sich eingespielt hat, desto weniger muss man schriftlich festhalten. Der Erfahrungsschatz wächst dadurch, dass man Verantwortung übernimmt. Aber am Anfang hilft es wirklich, Listen zu führen, auch damit man nicht ständig nachfragen muss. Ganz viel Erfahrungsschatz ist ja im Kopf der Frau und sie hat keine Routine Informationen zu teilen. Statt dass der Mann also 20-mal in der Woche nachfragt, wie etwas läuft, ist es doch sinnvoller, sich Notizen zu machen und so abzulegen, dass beide nachschauen können … wie war das jetzt nochmal mit dem Sommerfest im Kindergarten etc. Es mag erst einmal unromantisch sein, aber es ist auch nicht romantisch, wenn die Partnerin dauerverspannt ist.

Wir haben vorab mal in befreundeten Familien rumgefragt, wie die Verteilung von Mental Load empfunden wird. Väter reagieren leicht gereizt auf das Thema. Vor allem, wenn es um die Finanzen geht. Ein Argument, das wir häufig gehört haben: In Deutschland sind fast 80 Prozent der Hauptverdiener männlich, ungefähr 80 Prozent der Mütter arbeiten in Teilzeit. Das sei es nur gerecht, dass derjenige, der mehr arbeitet und mehr verdient, sich dafür entsprechend weniger im Haushalt und bei der Kinderbetreuung einsetzt.

Das ist einfach falsch gerechnet. Man kann ja durchaus die Stunden gegenrechnen. Die 40 Stunden des Mannes gegen die Stunden, die die Frau arbeitet. Also Teilzeit plus Hausarbeiten oder damit es sich einfacher rechnen lässt: „Nur“ die Kümmerarbeit der Frau, die nicht erwerbsarbeiten geht. Wenn ihr Tag um 6 Uhr mit Frühstückmachen und Kinderversorgen beginnt, hat sie nach 8 Stunden plus eine halbe Stunde Mittagspause um 14.30 Uhr Feierabend. Nur: Was ist nach 14.30 Uhr? Ab da macht sie Überstunden. Es ist nur gerecht, die restliche Zeit aufzuteilen.

Stichwort Corona: Hat diese Zeit die Mental-Load-Belastung von Müttern verstärkt?

Absolut! Dazu gibt es inzwischen bereits Studien. Vor allem in gutverdienenden Akademiker-Haushalten hat die Corona-Zeit eine Rolle rückwärts bewirkt. In Familien, wo Gleichberechtigung hergestellt wurde, indem man bestimmte Dinge aussourced, also an einen Babysitter, eine Putzhilfe, den Wäschedienst. Denn durch den Lockdown ist dieses Netz aus Dienstleistern komplett weggefallen. Und da in den meisten Fällen die Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als die Männer, war klar, wer sich in erster Linie um Homeschooling und Haushalt kümmern muss.

Das ist dann aber kein privates, sondern ein politisches Problem.

Ja, Mental Load ist grundsätzlich kein privates Problem, sondern ein systemisches. Es geht u.a. um die Wertigkeit von Kümmerarbeit gegenüber Erwerbsarbeit und die Bevorzugung bestimmter Familien- und Rollenmodelle.

Wir haben beim Lesen bis zum Schluss auf den Begriff Alleinerziehende gewartet. Haben wir ihn überlesen?

Ganz am Anfang schreibe ich über Alleinerziehende, als es darum geht, was man selber tun kann, um sich zu entlasten. Aber der Großteil von „Raus aus der Mental Load Falle“ dreht sich ja darum, wie man gemeinsam mit einem Partner eine gerechte Arbeitsteilung in der Familie erarbeiten kann. Ich hoffe trotzdem, dass auch Alleinerziehende etwas für sich mitnehmen können. Und ich hoffe, dass alle Eltern, die einen Partner, eine Partnerin haben, abstrahieren können, was es für Alleinerziehende bedeutet, alles allein schaffen zu müssen. Und wenn diese Eltern beim Bastelnachmittag im Kindergarten nicht dabei sind, dann bastel ich halt noch eine Laterne mit!

bw // Fotos: AdobeStock, Marcus Richter

 

2. September 2020