Darf ich die Haare mal anfassen?

Als Eltern sorgt man sich ständig um seine Kinder. Isst mein Kind vernünftig, kommt es genug an die frische Luft, was ist mit der Schule, hat es die richtigen Freunde und überhaupt, ist mein Kind glücklich? Alltägliche Gedanken, die unendlich und beliebig ausgetauscht werden können. Wenn man sich aber Gedanken machen muss, ob sein Kind aufgrund seines Aussehens Probleme bekommt, dann sprechen wir nicht mehr von allgemeinen Sorgen oder „normalen“ Ängsten von Eltern. Schnell hat es dann die Grenze von „Kinder ärgern sich halt untereinander“ zu Diskriminierung oder gar Alltagsrassismus überschritten.

Ich bin weiß – meine Kinder sind es nicht

Und bereits hier beginnt die äußerliche Abgrenzung, die mir nicht nur schwerfällt, sondern mich seelisch zerreißt. Wir wachsen in einer Gesellschaft auf, die das Weißsein zur Norm emporgehoben hat. Und deswegen müssen Weiße überhaupt nicht reflektieren, was Weißsein heißt. Das macht uns nicht gleich zu Rassisten, aber damit nehmen wir in unserer Sozialisation schon sehr viel Rassismus auf. Ob wir den bis ins Alter – durch Erfahrung, durch Austausch, durch Interaktion – wegbekommen, weiß ich nicht. Das ist ein individueller Prozess, ausgelernt hat da nie jemand, glaube ich. Auch ich nicht. In der Unterschiedlichkeit liegt das Gemeinsame. Man braucht sich nur umzusehen, um es zu merken: Jeder ist anders. Schon rein äußerlich unterscheiden wir uns nach Geschlecht, Kleidung, Frisur, Haut-, Augen-, Haarfarbe usw. In den letzten Jahrzehnten sind viele Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland eingewandert. Menschen auf der Suche nach Arbeit oder auf der Flucht vor Vertreibung, Unterdrückung oder Krieg. Durch diesen Einwanderungsprozess sind die Unterschiede in der Bevölkerung, aber auch von kulturellen Lebensstilen (z.B. Essen, Kleidung, Musik) in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern größer geworden. Nicht nur in der Schule, auch in Sportvereinen, im Fernsehen, im Supermarkt, im Jugendzentrum oder einfach auf der Straße kann man das beobachten.

„Das fühlt sich aber toll an. Wie ein Schaf!“

Seit der Geburt meiner Kinder erlebe ich fast täglich Rassismus. Mein Sohn Jason* war gerade mal ein paar Monate alt, da gehörte es schon fast zum Standard, dass andere seine Haare anfassen wollten, oft ungefragt einfach in den Kinderwagen langten oder später, als er älter wurde, auch gerne mal im Vorbeigehen ihm auf den Kopf fassten mit den Worten „Ich wollte solche Haare schon immer mal anfassen“. Und dem Ganzen wird auch noch ein i-Tüpfelchen aufgesetzt mit dem Kommentar: „Oh, das fühlt sich aber toll an. Wie ein Schaf!“

Jetzt kommt vielleicht die verwunderte Frage: Aber das ist doch eher ein Kompliment und kein Rassismus? Nein, das ist übergriffig und macht mir und meinen Kindern bereits deutlich, warum „wir“ anders sind. Meine Kinder sind keine Tiere im Zoo. Bevor man so etwas macht, sollte man vielleicht erst einmal kurz sich selbst fragen: Möchte ich einfach von einer fremden Person angefasst werden? Auch wenn sie mich nett fragt, will ich wirklich ihre Hände auf meinem Kopf? Es ist schwierig, ich weiß. Selbst die Wissenschaft streitet bis heute darüber, was genau Rassismus ist. Es gibt wahnsinnig viele Definitionen – der Duden zum Beispiel definiert den Begriff als eine „Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen. Das bedeutet: Rassismus ist eine Form der Fremdenfeindlichkeit, bei der Menschen etwa aufgrund ihrer Hautfarbe anders behandelt werden. Wenn man fremden weißen Kindern auf keinen Fall einfach so in die Haare greifen würde, bei Schwarzen Kindern aber keine Hemmungen hat, kann man also von Rassismus sprechen – selbst wenn gar keine böse Absicht dahintersteckt.

„So süß. Ich hätte auch gern ein Schokokind“

Nun ist mein Sohn fast schon ein Teenager und die Übergriffe werden nicht weniger – im Gegenteil, es wird schlimmer. Das anfängliche, scheinbar nett gemeinte: „Mischlingskinder sind einfach immer die süßesten“, „Oh, ich hätte auch gerne ein Schokokind“ wurde über die Jahre zu „Wo kommst du ursprünglich her?“, bis hin zu: „Du siehst ja aus wie ein Affe“. Und wer sich jetzt ertappt fühlt und denkt, das habe ich aber auch schon mal gedacht oder gesagt und ich bin ganz sicher kein Rassist, der sollte sich mit dem Thema mal noch mehr auseinandersetzen. Nur weil etwas gut gemeint ist, schließt es Diskriminierung nicht aus. Nur weil man mit bestimmten Begrifflichkeiten aufgewachsen ist und es eben schon immer so sagt, heißt es nicht, dass man das nicht ändern sollte. Ganz im Gegenteil. Denn im Kleinen beginnt es schon. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man „Negerkuss“, „Mohrenkopf“ oder, wie man es eigentlich sagen sollte, „Schaumkuss“ zum Beispiel sagt. Auch wenn man es nicht böse meint, so beinhalten diese Worte Diskriminierung, das Herabsetzen eines Menschen und auch eine negativ behaftete Geschichte, die hinter diesen Worten stecken. Das sollte man wissen, und wenn nicht, weiß man es jetzt und ändert es. Das tut keinem weh, das geht ganz schnell und bewirkt doch enorm viel. Es könnte zum Beispiel bedeuten, dass die Begriffe bald „ausgestorben“ sind und unsere Kinder und all die Generationen nach uns, es sensibilisierter erlernen.

„Ich habe zwar nichts gegen Schwarze, aber… “

Eine typische Rassismusfalle beginnt gerne mit dem Wörtchen „aber“: „Ich habe zwar nichts gegen Schwarze, aber…“ Deutlich wird der eingeleitete Widerspruch zu dem vorher Gesagten, bei dem wir – fast ohne es zu merken – plötzlich die Gegenposition beziehen. Seit mein Sohn in der Grundschule ist, erleben wir immer wieder Dinge, die Jason und auch mich zutiefst verletzen. Wenn dich dein Kind im Alter von acht Jahren fragt: „Mama, warum bin ich ein Kind zweiter Klasse?“, dann läuft einiges schief bei uns. Bitterlich lag mein Sohn schon so oft in meinen Armen, weil mal wieder ein anderes Kind ihn als „Dreck“ bezeichnet hat, ihn als „Kacke“ beleidigt hat oder sich schnell die Hände waschen ging, nachdem Jason es berührt hatte. Er wird als „Flüchtling“ beschimpft und soll doch wieder dahin zurückgehen, wo er herkommt. Jason ist in Deutschland geboren, hat seine deutsche Staatsbürgerschaft, ist hier aufgewachsen und spricht besseres Deutsch als so manch dialektbehafteter Erwachsener. Wohin soll er also gehen? Und seit wann ist das Wort „Flüchtling“ ein Schimpfwort?

„Mama, meine Hautfarbe tut weh“

Auch wenn mein Sohn nun schon etwas älter ist und mit vielem besser umgehen kann, schmerzt es ihn noch immer sehr. „Mama, meine Hautfarbe tut weh“ – ist wohl der schlimmste Satz, den ich von meinem Jungen bisher gehört habe. Auch wenn ich eine andere Hautfarbe habe als er, weiß ich doch ganz genau, was er mit diesem Satz mir sagen will. Nicht nur einmal hat er mich schon angefleht, dass er gerne so aussehen möchte wie ich, „dann hab ich es bestimmt einfacher!“

Auch meine Tochter Olivia macht bereits ihre negativen Erfahrungen. Sie ist zwar noch klein, und auch weil sie ein Mädchen ist, scheint es komischerweise abgeschwächt zu sein. Dennoch schaut auch sie mich mit fragenden Augen an, wenn ein Kind an ihrem Arm oder ihrem kleinen Händchen reibt, um zu überprüfen, ob sich ihre Farbe abrubbeln lässt. Auch die doch so lieb gemeinte Aussage: „Du siehst aus wie Schoki“ ist nicht schön und reduziert meine Kinder auf etwas, dass eigentlich irrelevant ist. Schließlich möchte ich auch nicht ständig Camembert-Käse genannt werden. Es macht einen seelisch kaputt, es zerreißt einem das Herz und es bringt mich immer wieder an meine Grenzen. Und doch bin ich stark für meine Kinder und werde es nie aufgeben, mich für sie einzusetzen, sie zu beschützen und aufzuklären. Niemals habe ich damit gerechnet, dass wir heutzutage, und vor allem in Bezug auf Kinder, noch so viel mit Rassismus und Diskriminierung zu kämpfen haben. Dass ich meine Kinder tröstend in den Arm nehme, weil es sich mit einem anderen Kind gestritten hat – damit habe ich gerechnet, als ich Mutter wurde. Dass ich mich aber so sehr bemühen muss, meinen Kindern deutlich zu machen, dass sie toll sind, dass sie hübsch sind und dass sie alles werden können, egal wer was anderes sagt – das hätte ich mir niemals vorstellen können.

Wie bereitet man sein Kind darauf vor, dass es aufgrund seiner Hautfarbe weniger gemocht wird oder sogar beleidigt wird? Dass es wahrscheinlich auch bei der späteren Jobsuche es schwerer haben wird? Wie erklärt man seinem Kind diese Ungerechtigkeit und wie sagt man ihm, dass es leider immer wieder passieren wird? Und wie sagt man seinem Kind, dass es diese Intoleranz zwar niemals akzeptieren sollte, aber es durchaus auch Situationen geben wird, in denen es besser ist, einfach zu gehen und sich nicht mit der jeweiligen Person auseinanderzusetzen. Jeder von uns sollte sich einmal selbst prüfen, denn es kann sich niemand – wenn wir mal so richtig ehrlich mit uns selbst sind – von Rassismus und damit zusammenhängenden Vorurteilen freisprechen. Aber schlussendlich ist das ein Gefühl. Und das wird jeden Tag auf die Probe gestellt. Wie ich mich verhalte in der U-Bahn, wie ich Leute ansehe. Ob ich anders mit Leuten rede, weil sie eine andere Hautfarbe haben als ich.

Ich glaube, jeder hat rassistische Vorurteile, da kann man mir sagen, was man will. Und dennoch kann jeder daran arbeiten, sich ändern und das als Vorbild für unsere Kleinsten vorleben. Kinder sind rein und unbefleckt. Sie lernen alles durch und von uns. Wir sind verantwortlich für das, was sich in den Köpfen unserer Kinder platziert. Rassismus ist oft unbewusst oder geschieht unbeabsichtigt. Das befreit aber nicht von der Verantwortung. Es ist, wie wenn man jemandem auf den Fuß steigt. Es war keine Absicht, aber es tut trotzdem weh. Man sagt dann schließlich nicht: Das war unbewusst, also ist es nicht so schlimm. Sondern man entschuldigt sich und bemüht sich, anderen Menschen nicht nochmal auf den Fuß zu treten.

jlu//Fotos: Abdobe Stock

*Die Namen der Kinder wurden aus Persönlichkeitsrechten von der Redaktion geändert.

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1 Kommentar

Sven Sasse-Rösch

Toller Beitrag,
viele Menschen sind sich da garnicht bewusst was ein einzelnes Wort, eine Geste für eine Auswirkung hat.
Ich hatte vor Jahren mal mit einer Hort Gruppe einen Ausflug gemacht. Auch dort hatte ein Mann einem Mädchen einfach in die Haare gegriffen. Ich habe dann das gleiche bei dem Mann gemacht und gefragt ob er das so ungefragt toll findet…Er war ziemlich erschrocken. Was er nun darüber dachte weiß ich nicht…

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