Grosse Freiheit und neue Risiken

Ein Leben ohne Social Media ist für die meisten Kinder und Jugendlichen undenkbar. Welche Chancen und Gefahren sich daraus ergeben, erklärt Dr. Karin Knop. Unser Autor Klaus Kühlewind hat mit der Medienpädagogin gesprochen. 

Frau Dr. Knop, Smartphones und Tablets begleiten Kinder von klein  auf durch den Alltag. Spätestens Ende der Grundschulzeit gehört das eigene Smartphone samt Netzzugriff dazu. Ist das der Beginn einer großen Freiheit?

Dr. Karin Knop: Wie Sie sagen, hat etwa die Hälfte der Grundschüler ein Smartphone, kann damit online gehen und die Kinder können sich damit auch vernetzen. Das ist einerseits der Beginn der großen Freiheit, denn für Kinder sind, wie für Erwachsene, drei Dinge sehr wichtig: Autonomie, Kompetenzerleben und Zugehörigkeit. All das ist über das Smartphone realisierbar. Andererseits erhöhen sich durch Smartphones die Risiken, mit Inhalten konfrontiert zu werden, die für das Alter nicht geeignet sind, beispielsweise pornografische oder extremistische Inhalte und Gewaltdarstellungen. Andere Themen sind die Veränderungen der Face-to-Face Kommunikation, weil der Austausch zunehmend über das Smartphone läuft, eine permanente Ablenkung, die Kommerzialisierung über In-App-Käufe oder ein sozialer Druck, der sich auch durch die Reaktionszeiten auf Nachrichten von Freunden entwickeln kann. Und es gibt eine ganze Gruppe junger Nutzer, die einer Suchtgefahr ausgesetzt ist, weil sie das Handy immer mehr benutzt und die Kontrolle über das Nutzungsverhalten verliert. Der großen Freiheit auf der einen Seite stehen gleichzeitig neue Risiken gegenüber.

Wie sensibilisieren Eltern die jungen Menschen für Chancen und Risiken der digitalen Vielfalt?

Das Mittel der Wahl ist hier ein kindzentrierter, aktiver Medienerziehungsstil. Eltern sollten an einer Haltung arbeiten, mit der sie die Attraktivität des Smartphones für ihre Kinder nachvollziehen können. Dazu braucht es ein großes Interesse dafür, warum Kinder so fasziniert sind und gleichzeitig einen Dialog darüber, was genau Kinder mit den Geräten machen. Eltern sollten sich beispielsweise zeigen lassen, welche YouTube-Videos gerade angesagt sind oder wer alles zu den verschiedenen WhatsApp-Gruppen gehört. Wichtig ist auch, mit den Kindern gemeinsam die Datenschutzeinstellungen vorzunehmen, weil Kindern oft das Wissen fehlt und sie teilweise unreflektiert Daten preisgeben. Ganz wichtig ist jedoch, im Dialog zu bleiben und in diesem Dialog gemeinsam mit dem Kind Regeln auszuhandeln.

Was alles zählt zu diesen Regeln?

Dazu gehört, welche Apps werden installiert. Aber auch die tägliche Nutzungsdauer ist ein Aspekt. Darüber sollten Eltern mit ihren Kindern in den Dialog treten und die gemeinsam aufgestellten Regeln dann auch verbindlich einhalten. Die Erfahrung zeigt, dass konsensuell erarbeitete Regeln von Kindern auch gut eingehalten werden. Ein rigides Festlegen macht wenig Sinn. Für das Einhalten der Regeln, wie das Zeitbudget oder den Zugriff auf Inhalte,  können sich Eltern auch technischer Hilfsmittel bedienen, wie zum Beispiel Time.Limit.io für Android. Fürs iPhone ist es bereits integriert und unter Bildschirmzeit zu finden. 

Welche Rolle spielen beim Thema Mediennutzung und -umgang Schulen und Lehrkräfte?

Grundsätzlich ist das eine Aufgabe für alle an der Erziehung beteiligten Akteure und Institutionen. Das beginnt aus meiner Sicht bereits im Kindergarten und führt sich in der Schule fort. Wir brauchen in den Einrichtungen kompetente pädagogische Fachkräfte, die an dem Thema Medienkompetenzermittlung kontinuierlich mit den Kindern arbeiten. Die Verantwortung an den Schulen ist sehr hoch und nur gemeinsam mit allen Beteiligten ist eine optimale Medienkompetenz-Vermittlung zu realisieren.

Eine Herausforderung in Sachen Medienkompetenz ist gewiss auch die künstliche Intelligenz. Wie sollten wir Kinder für den Umgang mit ChatGPT wappnen?  

ChatGPT ist für mich nur eine neue und zugleich sehr attraktive Plattform, die besonders viele Möglichkeiten bietet. Generell gehört der Chatbot zum Oberthema künstliche Intelligenz. An dieses Thema sollten Kindern schon sehr früh herangeführt werden, damit ihnen bewusst wird, warum sie in YouTube oder TikTok diese oder jene Vorschläge bekommen und was das mit ihren Präferenzen zu tun hat. Für ChatGPT gilt ein Mindestalter für die Nutzung von 13 Jahren und für die Registrierung von 18 Jahren. Nichtsdestotrotz werden Kinder unter 13 Jahren auch damit arbeiten. Für Eltern wie für Lehrkräfte gilt aus meiner Sicht, das Thema nicht auszublenden oder gar zu verbieten. Es gilt vielmehr, sich mit den Chancen und Risiken solcher Programme auseinanderzusetzen. Übergeordnet geht es um die Fähigkeit zur Quellenkritik und die Informationskompetenz. Lehrkräfte sollten mit Kindern und Jugendlichen mit ChatGPT arbeiten, sich die Ergebnisse gemeinsam anschauen und dabei erkennen, welche Quellen das System nutzt und welche Fehler entstehen. 

Welche Erkenntnisse haben Sie darüber, wie intensiv Social Media-Kanäle genutzt werden, um Gleichaltrige auszugrenzen oder gar niederzumachen?

Dazu gibt es aktuelle Befunde vom Bündnis gegen Cybermobbing. Von Online-Mobbing waren 16,7 Prozent der Nutzer betroffen. Hochgerechnet auf ganz Deutschland sind auf Basis dieser Studie 1,8 Millionen Schüler Opfer von Online-Mobbing geworden. Corona hat die Lage verschärft und die Betroffenheitsrate erhöht.

Das Verhalten der Kinder wird maßgeblich geprägt von der Vorbildfunktion der Eltern. 

Da haben wir ganz klare Befunde und auch viele andere Studien kamen zu einer deutlichen Antwort: Das Vorbildverhalten der Eltern im Umgang ist einer der bedeutendsten Prädiktoren dafür, wie das eigene Kind das Handy nutzt. Wenn ich als Elternteil ein Familienessen wegen des Handys unterbreche oder mitten in einem Gespräch mit dem Kind aufs Smartphone schaue, darf ich mich nicht wundern, wenn mein Kind ebenfalls unreguliert und wenig selbstbestimmt das Smartphone nutzt und eine hohe Unterbrechungsfrequenz im Alltag hat. Dies ist auch für die Elternarbeit von pädagogischen Fachkräften ein wichtiges Ergebnis: Eltern sind auch für die eigene Handynutzung zu sensibilisieren und über ihre Vorbildfunktion aufzuklären.  

Auch Väter und Mütter posten Bilder, Filmchen und Texte. Auf Instagram beispielsweise präsentiert manch Elternteil das komplette Familienleben. Was macht das mit den Kindern?

Es ist zum Teil beeindruckend, wie unreflektiert Eltern mit Bildern ihrer Kinder umgehen und diese posten – das nicht nur für einen begrenzten Freundeskreis, sondern häufig zugänglich für eine extrem große Zahl von Nutzern. Damit öffnen die Eltern Tür und Tor für Stalker, Pädophile etc. Eltern brauchen hier unbedingt eine hohe Sensibilität. Zudem sollten sich Eltern bewusst sein, dass das Posten von Bildern und Filmen in die Persönlichkeitsrechte ihre Kinder eingreift. Spätestens ab dem 14. Lebensjahr haben Kinder das Recht am eigenen Bild. Und da Bilder häufig über Jahrzehnte im Netz zu finden sind, sollte also schon sehr früh darauf geachtet werden.

//kakü

Dr. Karin Knop

Dr. Karin Knop ist Diplom-Erziehungswissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Medienpädagogik und Erwachsenenbildung. Sie ist derzeit als freie Medienforscherin und Medienpädagogin sowie als Referentin tätig.

Seit 2011 ist sie Redaktionsmitglied der Zeitschrift „MERZ – Medien und Erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik“. 

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