Schreiben nach Gehör ist unverantwortlich

Hunt, Kaze, Plötman. Schreibt das Kind so? Mein Beileid. Mein Beileid gilt all den armen Erstklässlern, die gerade eingeschult wurden und dieses Schuljahr wieder nicht richtig schreiben lernen werden, weil sie schreiben dürfen, wie sie wollen. Mein Beileid gilt auch ihren Eltern.
Man streitet nämlich mal wieder über die Methode „Schreiben nach Gehör“. Nachdem eine Bonner Studie, bei der die Lernerfolge von gut 3000 Grundschulkindern in Nordrhein-Westfalen analysiert wurden, herausgefunden hat, dass diese Methode nicht geeignet ist, um Rechtschreibung zu erlernen.
Ach!
Darf ich weiter gehen? Schreiben nach Gehör ist nicht nur ungeeignet, Schreiben nach Gehör ist schlichtweg unverantwortlich!
Es ist eine Zumutung für Kinder, eine Zumutung für Eltern und eine Zumutung für Lehrer an weiterführenden Schulen, die das ausbaden müssen, was Grundschulen über Jahre versäumt haben. Und ich kann das Argument nicht mehr hören. Von wegen „Schreiben nach Gehör würde die Kreativität der Kinder fördern“. Sie würden sich schneller trauen, ganze Texte zu schreiben. Ein Unsinn ist das. Wenn ein Kind Freude am Schreiben hat, dann wird es auch ohne diese Methode versuchen, kleine Texte zu schreiben. Ja, vielleicht muss es damit etwas länger warten. Ja, vielleicht langweilt es sich in Klasse eins ein wenig. Fibelschreiben ist sicherlich nicht ultraspannend. Aber was sind ein paar Wochen Langeweile, gegen jahrelangen Frust?
Es gibt unzählige Kinder, die an Grundschulen nicht mehr richtig schreiben lernen. Es gibt Lehrer, die beim ersten Elternabend in Klasse eins den Eltern vorschreiben, sie mögen ihre Kinder bitte nicht verbessern. Sie schreiben lassen, wie sie wollen.
Und das ist falsch! Es ist eine Qual für Kinder, Wörter, die sie jahrelang geschrieben haben wie sie lustig sind, später plötzlich richtig schreiben zu müssen.
Es kann nicht sein, dass es an zahlreichen Gymnasien inzwischen zum Standard gehört, in Klasse fünf und sechs nachmittags Rechtschreib-Nachhilfe für all jene Kinder anzubieten, die statt „und“ immer noch „unt“ schreiben.
Weil es den Schulen nicht möglich ist, das jahrelang Versäumte zusätzlich im Unterricht nachzuholen. Erst recht nicht in einem G-8-Schulsystem.

Und es sind nicht nur eine Handvoll Kinder in jedem Jahrgang  –  es sind viele. Und es sind nicht nur Kinder, deren Eltern Migrationshintergrund haben und deshalb vielleicht selber nicht gut Deutsch können oder Kinder, deren Eltern sich nicht „richtig kümmern“. Es sind genauso Kinder aus urdeutschen Bildungshaushalten.

Deren Eltern den Pädagogen vertraut haben, als sie  schwärmten, wie großartig diese Methode sei. Eltern, die das Beste für das Kind wollten und das Beste ist doch, dass mit Freude gelernt wird, oder?
Und es mag ja sein, dass es am Anfang mehr Freude bereitet, wild daraufloszuschreiben, aber mit der Freude ist spätestens beim ersten Diktat in Klasse fünf Schluss. Versprochen.

Liebe Erstklässlereltern: Empört euch! Wehrt euch! Protestiert dagegen, wenn an der Grundschule eurer Kinder Schreiben nach Gehör gelehrt wird!
Egal, wie großartig es klingt.
Macht euch bewusst: Ihr werden es ausbaden müssen.
Ihr werden euren Kindern später richtig Schreiben beibringen müssen. Und es mag sein, dass ihr nun abwinkt. Weil ihr es das könnt und keine Lust auf Diskussionen mit den Lehrern habt. Weil ihr die Kompetenz, die Zeit, die Geduld habt, mit euren Kindern richtig Schreiben zu üben. Macht euch aber bewusst, dass es Eltern gibt, die das alles nicht haben.
Und das kann nicht sein.
Kindern Rechtschreibung beizubringen, ist Aufgabe der Grundschule.
Und zwar allen Kindern!

 

26. September 2018