Ein Zuhause auf Zeit

Manchmal bleibt ein Kind nur einige Wochen, ein anderes Mal wohnen Pflegekinder mehrere Monate bei Familie Binuya aus Hirschberg. Seit zweieinhalb Jahren sind sie eine Bereitschaftspflegefamilie und bieten Kindern, die in der Obhut des Jugendamts gelandet sind, ein Zuhause. Nicole Binuya hat bereits vier leibliche Kinder: „Und dennoch habe ich schon immer gespürt, da ist noch mehr Platz.“ Sie bieten zwei Pflegeplätze, und wenn sie gerade keine Pflegekinder bei sich haben, befinden sie sich im Bereitschaftsdienst. Wenn das Telefon klingelt, kann es ganz schnell gehen.

Liebe Nicole, wie lebt es sich in einer Familie in Bereitschaft?

Ganz wundervoll. Wir erleben so viele Abenteuer. Es braucht natürlich ein hohes Maß an Flexibilität und Spontanität.

Wie wurdest du Bereitschaftspflegemutter?

Es war ein langer Prozess. Die Geburt meines ersten Sohnes eröffnete mir eine ganz neue Welt. Durch ihn wuchs innerlich der Wunsch in mir, noch mehr Kindern zu helfen.

Wie alt sind die Pflegekinder und wie lange bleiben sie bei euch?

Wir nehmen aktuell Kinder zwischen 0 und 9 Jahren bei uns auf. Die Dauer ist sehr unterschiedlich. Es kann von ein paar Tagen bis hin zu mehreren Monaten
gehen.

Wann kommt es zu der Situation, dass ein Kind in der Obhut des Jugendamts landet und am Ende dann bei euch?

Ein Kind wird vom Jugendamt immer dann in Obhut genommen, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls besteht und keine andere Lösung gefunden werden konnte. Die Kinder werden gebracht oder ich hole sie ab.

Kannst du mal den Ablauf beschreiben: Dich ruft das Jugendamt an und dann folgen welche Schritte?

Das Jugendamt, eine meiner Sachbearbeiterinnen oder am Wochenende der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) ruft an: Sie erzählen von dem möglichen Kind. Wenn Informationen da sind, bekomme ich diese direkt am Telefon. Je nachdem wie schnell es geht, fahre ich los oder warte, bis das Jugendamt zu mir kommt. Manchmal ist es zunächst auch nur eine Information zu einer möglichen Aufnahme. Wenn bekannt ist, dass der ASD rausfährt, kann es zu einer Inobhutnahme kommen oder es wird vor Ort eine Lösung gefunden. Hier haben wir dann Zeit, um die Ankunft des Kindes vorzubereiten. Kleidung, Bett beziehen usw. Es kann auch mal sein, dass wir alles vorbereiten und es kommt zur „Absage“.

Was bedeutet es, immer wieder ein fremdes Kind im eigenen Zuhause zu empfangen?

Das ist für alle Parteien immer sehr aufregend und spannend. Was ganz wichtig ist, ist, das Kind mit offenen und vorsichtigen Armen aufzunehmen und ankommen zu lassen.

Du hast selbst vier eigene Kinder. Wie kommen sie mit der Situation klar, dass von heute auf morgen ein fremdes Kind im eigenen Zuhause lebt und sie es nach manchmal wenigen Wochen wieder verabschieden?

Kinder sind deutlich offener als wir Erwachsene. Sie kennen in der Regel das „klassische Familienbild“ nur durch die vorgesetzten Bilder von uns Erwachsenen. Meine Kinder sind wundervolle Bereitschaftsgeschwister. Sie können viel schneller Hemmungen brechen und Brücken bauen. Wickeln und füttern zu jeder Tages-
und Nachtzeit, kuscheln, in den Schlaf wiegen, spazieren gehen oder Arztgänge – eben alles, was die „richtige“ Mama auch machen würde.

Müssen deine leiblichen Kinder da zurückstecken?

Natürlich gibt es Situationen, in denen meine leiblichen Kinder „zurückstecken“ müssen. Doch hier liegt die Verantwortung bei uns Erwachsenen. Jeder von uns muss in gewisser Weise lernen „zurückzustecken“. Manchmal schaffen wir es nicht alle Bedürfnisse gleichzeitig zu erfüllen, aber wir können es kommunizieren und einen Weg finden, wie es möglich ist, sie nacheinander zu erfüllen. Und genau das ist in meinen Augen eine wertvolle Kompetenz, die die Kinder in der Gemeinschaft lernen.

Wie viele Kinder leben aktuell bei euch? Und wie häufig kommt es vor, dass das Jugendamt anruft?

Ganz aktuell leben hier 7 Kinder. Meine 4 leiblichen Kinder, 2 Bereitschaftspflegekinder und ein Kind für einen ganz kurzen Zeitraum in der Verhinderungspflege/ Urlaubsvertretung. Es kommt bei den Anrufen ja darauf an, ob wir belegt sind oder nicht. Bisher waren wir nie sehr lange ohne ein Pflegekind. In der Zeit der Rufbereitschaft ist es unterschiedlich. Es gibt hier Zeiten, da ist es wochenlang still und dann gibt es Wochen, in denen unser Jugendamt ganz viele Meldungen bekommt.

Mit welchen Herausforderungen habt ihr im Alltag zu kämpfen?

Die Wäscheberge! Ich glaube, das ist tatsächlich meine größte Herausforderung.

Inwieweit werdet ihr als Pflegeeltern begleitet?

Wir werden sehr eng betreut. Es gibt Tage bei einer Belegung, da telefoniert man 20-mal mit dem Jugendamt. Hier bin ich sehr dankbar, dass unsere Ansprechpartner immer ein offenes Ohr haben und uns Bereitschaftseltern wirklich sehr den Rücken stärken und unsere Leistung
immer wieder wertschätzen. Das Jugendamt organisiert zudem Schulungen, die wir im Jahr besuchen müssen. Dies ist mir persönlich sehr wichtig, die eigene Weiterbildung im Umgang mit traumatisierten Kindern. Das sehe ich als meine Verantwortung den Kindern gegenüber.

Wie finanzierst du diese Arbeit bzw. werdet ihr bezahlt?

Mein Mann ist der „Hauptverdiener“. Ich bekomme einen Tagessatz für die Belegung. Mit diesem Geld muss aber auch Kleidung, Essen und alles andere für die Pflegekinder bezahlt werden.

Welche Voraussetzungen müssen Pflegeeltern mitbringen? Braucht es Qualifikationen?

Ein guter Umgang mit Stresssituationen sollte vorhanden sein. Seelische Stabilität und eine stabile Familiensituation. Keine Vorstrafen. Und man sollte ein großes Herz für Kinder haben.

Was würdest du als euren größten Segen in Bezug auf Bereitschaftspflege bezeichnen?

Die Möglichkeit, einem Kind, auch wenn es nur für kurze Zeit ist, Schutz und Liebe schenken zu dürfen. Es gibt für mich nichts Schöneres, als zu sehen, wenn verletzte Menschen gesund werden können. Diese Entwicklungen zu beobachten, erfüllt das eigene Herz auf wundervolle Weise.

jelu// Fotos: mschi

Redakteurin Jessica Ludwig spricht auch im wnoz-Podcast „Nah dran“ mit Bereitschaftspflegemutter Nicole Binuya aus Hirschberg. Reinhören auf: wnoz.de/wn/Mediathek/podcast

Pflegeeltern werden! 
Wenn Sie Pflegeeltern werden wollen, sollten Sie sich zuvor über die verschiedenen Arten informiert haben. Diese unterscheiden sich generell nach der Verweildauer des Kindes in Ihrer Obhut.

Treten Sie mit Ihrem ansässigen Jugendamt in Kontakt: Jugendamt Kreis Bergstraße
Bereitschaftspflege + Kurzzeitpflege
06252 / 155212.
Dauerpflege
06252 / 15 – 5997
jugendhilfe-pflegekinderdienst@kreisbergstraße.de
Jugendamt Odenwaldkreis
06062/701634 und -701649,
info.jugendamt@odenwaldkreis.de
Jugendamt Rhein-Neckar-Kreis
06221/522-1520;
jugendamt@rhein-neckar-kreis.de

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